
Quelle: pixelio Foto Dieter Schütz
Wie BP versucht, sich der Verantwortung im Golf von Mexico zu entziehen
Steve Gordon, renommierter Seerechtsanwalt in den USA, beschreibt die aktuelle Situation der Schadensregulierung mit den Worten: „Das ist ein totaler Krieg, ein Cyber-Krieg, ein Krieg der Anwälte, ein Umweltkrieg, ein Krieg um’s Geld.“**
Die Chronologie der Ereignisse:
Am 20. April 2010 explodiert die Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexico. Im selben Moment beginnt 1.500 Meter unterhalb, die größte Ölkatastrophe ihren Lauf zu nehmen. Öl fließt ins Meer. Jede Sekunde 130 Liter, Stunde für Stunde 400.000 Liter. 11 Bohrarbeiter sterben, 115 werden gerettet. Alle sind unter Schock, viele verletzt. Trotz vergeblicher Löschversuche – nach 2 Tagen sinkt die Plattform.
Alle Versuche, das Bohrloch zu schließen, scheitern und erst am 15. Juli 2010 gelingt es, das Bohrloch endgültig zu versiegeln.
In den Wochen zwischen dem 20. April und dem 15. Juli versucht BP, parallel zu den Bemühungen die Quelle zu verschließen, das ausgetretene Öl „einzufangen“ bzw. „aufzulösen“.
BP entscheidet sich für das Abschöpfen bzw. Verbrennen des Öls und den großflächigen Einsatz der Chemikalie Corexit. Methoden, die der ehemalige Chef der Shell Amerika, John Hofmeister, als „ineffektiv und veraltet“ bezeichnet.
Das in Europa seit langem verbotene Lösungsmittel klingt im Englischen wie „corrects it“ (korrigiert es). Eine Effekthascherei, die BP bewusst nutzt. Die kleinen weißen Corexit-Teile brechen den Ölteppich in kleine Bestandteile auf. Diese werden wasserlöslich und sinken. So sind sie auf einmal in tieferen Gewässerschichten und nicht mehr so leicht zu sehen. Das Öl ist jedoch nicht wirklich verschwunden, sondern nun über die gesamte Wassersäule verteilt. BP sagt dazu: „Wir setzen eine sichere Chemikalie ein, die das Öl fein verteilt.“** Dass die „sichere“ Chemikalie keineswegs harmlos ist, zeigen die zunehmenden Motorschäden der Einsatzschiffe. Trotz intensiver Reinigungsversuche löst Corexit die seewasserfesten Gummidichtungen der Boote auf.
Wer kommt für die Schadenersatzansprüche auf?
Um diese Frage tobt inzwischen der Rechtsstreit der Giganten.
Liegt die Schuld allein bei BP, dem Auftraggeber?
Trägt Halliburton eine Teilschuld?
Sie waren an der Bohrung beteiligt, wussten von Mängeln und schwiegen. Geben bis heute keinen Kommentar.
Oder Cameron?
Die Firma baute das Sicherheitsventil, das am Meeresgrund das Aufschießen des Öls stoppen sollte, das aber im Ernstfall versagte. Geht es nach der Homepage von Cameron, dann hat man mit der Deepwater Horizon nichts zu tun gehabt.
Oder Schlumberger?
Beauftragt mit der Überprüfung des Bohrlochs. Deren Mitarbeiter verließen noch am Morgen des Unglücks die Plattform, anstatt das Bohrloch stillzulegen.
Welche Mitschuld hat die Regierung in Washington?
Einerseits fördert sie Tiefseebohrungen, andererseits überlässt sie die Kontrolle den Firmen selbst.
Welche Schuld trägt transocean,
der Eigentümer der gesunkenen Plattform und Arbeitgeber der Bohrabreiter? Transocean bekam seinen Schaden (ca. 500 Millionen US-Dollar) von der Versicherung ersetzt und beantragte dann – unter Berufung auf ein amerikanisches Handelsgesetz von 1851 – eine Haftungsbeschränkung auf 27 Millionen US-Dollar.
Mike Papantonio, einer der 100 Top-Anwälte in den USA und Anwalt von BP-Geschädigten:
„BP sichert sich gerade Pachtverträge über 10 Jahre, was mir sagt, dass sie ihre Aufräumarbeiten in die Länge ziehen werden, sodass sie ihre Kosten auf 10 – 15 Jahre strecken und abschreiben können. So erscheinen sie wirtschaftlich gesünder und Exxon und Shell können sie nicht aufkaufen. So können sie den Aktionären einreden: ‚Wir sind ein gesundes Unternehmen, kauft Aktien‘. Je länger sie die Zahlungen und Abschreibungen hinauszögern, desto besser für sie.“**
Papantonio gewann zuletzt gegen die mächtige Tabakindustrie. Nun reichte er die gleiche Klage gegen BP ein. Vorwurf: Organisiertes Verbrechen.
Stimmen zu den Ursachen der Katastrophe:
Doug Brown
(Chefmechaniker auf Deepwater Horizon):
„Diese Bohrung war von Anfang an der komplette Alptraum. Im Oktober 2009 startete der erste Bohrversuch. Dann tobte der Hurrikan Ida. Nach 40 Tagen musste die erste Bohrung aufgegeben werden.
Eigentlich waren bis zur Fertigstellung der gesamten Bohrung nur 90 Tage geplant. Bei all den Problemen lagen wir aber weit hinter dem Zeitplan. Das bedeutete Millionenverluste für BP. Ich bin sicher, es waren Millionen.
Also begannen sie Druck zu machen. Wir sollten die Bohrung schnellstens abschließen.
Wenn man zu schnell bohrt, wie in unserem Fall, dann beginnen die Gesteinsschichten, durch die wir bohren, zu brechen. Das passiert, wenn man zu viel Druck auf den Bohrkopf gibt. Das Bohrloch ist dann nicht mehr dicht. Gas und Öl können unkontrolliert eindringen, das kann gefährlich werden.
Ich habe schon oft Gas aus dem Bohrloch aufsteigen sehn, sog. Kicks. Solange ich im Job bin, habe ich nie gesehen, dass der Druck über 1.000 Einheiten stieg. Bei dieser Bohrung waren es mehrfach über 3.000. Das ist das Höchste, was ich je gesehen habe.
Warnsignale
Es gab also Warnsignale, trotzdem sparten die Ingenieure weiter. Eine Bohrung geht nie gerade in den Boden. Deshalb müssen Abstandshalter das Bohrgestänge in der Mitte halten. Statt geplanter 23 Abstandshalter setzte BP nur 6 ein. Der später zur Sicherung eingepresste Zement erreicht so nicht alle Stellen. Dies hätte durch einen Test entdeckt werden können, aber auch auf den verzichtete BP.
Am Tag des Unfalls hatte Schlumberger die Plattform verlassen, ohne den Zement auf Dichtigkeit zu testen. Mir wurde gesagt, sie wären nicht aus freien Stücken gegangen. Man hätte sie aufgefordert zu gehen. ‚Der Zementtest wird nicht gemacht. Ihr könnt gehen.‘ Sie habe jede Menge Sachen ignoriert die verkehrt waren, alles nur um Geld zu sparen.“**
John Hofmeister
(ehem. CEO der Shell Amerika):
„Was auf der Deepwater Horizon passierte, war ganz klar menschliches Versagen.
Wer seine Leute zu sehr drängt oder mit schlechtem Equipment ausstattet, was hier danach aussieht, der bringt ihr Leben in Gefahr. Das dürfte nie passieren.
Bei der Deepwater Horizon setzten sie auf Abschöpfung, Verbrennen, chem. Lösungsmittel und Säuberung der Strände. Sehr ineffektive Methoden und veraltet.
Ich riet BP und der Coast Guard im Namen vieler Ingenieure, die sich gut auskennen, zur Methode „absaugen und trennen“. Mit Pumpen muss das Öl abgesaugt werden. Dann muss man es vom Wasser trennen und schließlich kann man das Wasser zurückpumpen.
Dazu braucht man Supertanker bei der Masse.
Ich denke, hier wurde eine Möglichkeit verpasst, viel Öl einzusammeln. Ob es BP zu teuer war? Ich weiß es nicht. Ich denke, es wäre sehr teuer gewesen. Aber jetzt wird es noch teurer, die Sumpflandschaften und Strände zu säubern und den Schadenersatz an die Fischer und die Kommunen zu zahlen. Und das wird noch einige Zeit weitergehen.“**
Matthew (Matt) Simmons
(Gründer von Simmons & Co., Finanzierer von High End Technologien im Energiebereich und heftiger BP-Kritiker):
„In den vergangenen 10 Jahren verfolgte ich mit Stolz, wie unsere Industrie endlich ihre Technologie perfektionierte. Jetzt können wir fast in jede Wassertiefe vordringen und selbst Offshore-Öllager mit hohem Druck anbohren, wie dieses nur selten in den 70-er Jahren gelang.
Aber wir haben weder junge Leute dafür ausgebildet, noch eine Havarietechnik entwickelt. Wenn es in 1.500 Meter ein Problem gibt – können wir es dann lösen? Die Antwort ist nein!
Wir haben immer gedacht das regelt sich von selbst.
Das tragische crescendo dieses Ölunfalls zeigt uns, wie wenig Öl tatsächlich noch vorhanden ist und wie zunehmend schwierig die Förderung wird.
So muss unsere Industrie immer größere Risiken eingehen, ohne über das richtige Equipment zu verfügen. Dieses Unglück hätte jedem Konzern passieren können.“**
Matt Simmons starb unerwartet wenige Tage nach diesem Interview. Er hatte sich mit einer neu gegründeten Firma gerade den alternativen Energien zugewandt.
Die Auswirkungen von Öl und Lösungsmitteln:
Nach der Darstellung von BP sind 4,7 Millionen Barrel (=543 Millionen Liter) ins Meer geflossen. Laut dem offiziellen Regierungsbericht 780 Millionen Liter. Ein Viertel davon ist laut BP von Notplattformen gefördert worden. Ein kleinerer Teil wurde mit Fangleinen eingekreist und aufgefangen. 40 Millionen Liter sollen verbrannt worden sein. Ein weiterer, erheblicher Teil wurde durch den Einsatz von Corexit zersetzt. Einen wichtigen Beitrag zur Vernichtung des Öls sollen Bakterien leisten, dies sagen die Untersuchungsergebnisse diverser Studien aus. Bei der Bewertung der Studienergebnisse darf man allerdings nicht vergessen, dass BP systematisch relevante Forscher zu besten Konditionen unter Vertrag nimmt. So kann BP auch über kritische Untersuchungen die Kontrolle behalten.
Nach wie vor unabhängig und kompetent in der Sache ist Dr. Riki Ott aus Cordova, Alaska. Sie ist Meerestoxikologin mit dem Schwerpunkt Ölverschmutzungen. Vor 20 Jahren war sie selbst noch Fischerin. Nach dem Tankerunglück der Exxon Valdez wurde sie jedoch zur Forscherin.
Damals wurde erstmals großflächig Corexit eingesetzt und seitdem beschäftigt sich Riki Ott mit den Nebenwirkungen dieses Lösungsmittels.
Die Industrie versichert gerne, das Öl würde wie durch ein Wunder von Bakterien gefressen und verschwinden. Bakterien fressen tatsächlich gerne langkettige Alkanmoleküle, die man sich wie einen Güterzug vorstellen kann. Sie spalten dann Wagen für Wagen ab – wie bei pacman – bis alles aufgefressen ist.
Das Problem ist, hier im Golf gibt es neben langkettigen Alkanen auch kugelförmig aromatische Ölmoleküle.
Bakterien können zwar langkettige Öle zersetzen, aber keine kugelförmigen Ölmoleküle. Diese verbleiben im Wasser. Das weiß man von einem anderen Ölunfall im Golf von Mexico. Seit 1968 treibt dort Öl.
Bei der Exxon Valdez Katastrophe setzten sie das gleiche Corexit 9527 ein wie hier. Corexit 9527 gefährdet die Gesundheit. Es zerstört Blutzellen, verursacht Nieren- Leberschäden, tötet sogar ungeborenes Leben. Es ist einfach eine fiese Chemikalie.
Wenn die Ölindustrie nun nachzuweisen versucht, dass dieses Lösungsmittel unbedenklich ist, beruht das auf überholten Testverfahren aus den 70-er Jahren. Die Wissenschaftsgemeinde weiß, dass fein verteiltes Öl giftiger ist als zusammenhängendes und dass das Lösungsmittel im Verbund mit dem fein verteilten Öl giftiger ist als das Öl alleine.“**
BP zwischen PR und Informationsunterdrückung
BP:
„…Zum einen ist da die vordringliche Aufgabe, daraufhin zu arbeiten, in der ganzen Welt das Vertrauen in unser Unternehmen wiederherzustellen. Zum zweiten weiß ich, dass die BP Mitarbeiter das erforderliche Engagement mitbringen und über die Fähigkeiten verfügen, dieses Vertrauen wiederherzustellen.” (BP News Golf von Mexico)
Yahoo News:
Überlebende der Deepwater Horizon behaupten auf offener See festgehalten worden zu sein um eine Erklärung über ihre körperliche Unversehrtheit zu unterschreiben. Bis zur Unterschrift sei ihnen weder der Kontakt zu ihren Familien noch der Landgang erlaubt worden.
BP:
„Wir suchen die geeigneten Wissenschaftler aus, bringen sie hier her um direkt mit uns zusammenzuarbeiten. Wir versuchen das Beste für unsere Umwelt und machen weiter bis die Ölpest beseitigt ist.“**
Oliver Hauck
(Umweltrechtler an der Tulane University)
„Die sammeln jetzt Teerklumpen für Teerklumpen auf an den Stränden. Das sieht gut aus für Touristen, gut für BP und es schafft Arbeitsplätze. Aber im Hinblick auf die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt ist das absolut nutzlos.“**
BP:
„Wir sind das Notfall-Team, das unter einem gemeinsamen Kommando arbeitet. BP Seite an Seite mit der Coast Guard. “
Tony Hayward
(ehemaliger) Vorstandsvorsitzender BP
„Wir werden alles versuchen und wir werden an unseren Lösungen gemessen werden. Wir versichern, dass wir alle unsere Verteidigungslinien auf Position haben, falls wir sie brauchen.“**
Huffington Post
BP Nachrichtensperre! Journalisten müssen mit Geldstrafen und Gefängnis rechnen.
Mit einer neuen Verordnung der Coast Guard wird es untersagt den Maßnahmen der Ölbekämpfung näher als 65 Fuß (20 Meter) zu kommen. Damit wird es der Presse unmöglich gemacht über Fehler und Versäumnisse hautnah zu berichten.
BP:
„Wir setzen eine sichere Chemikalie ein, die das Öl fein verteilt. Wir haben bereits mehr Lösungsmittel eingesetzt als die gesamte Ölindustrie bei all ihren Ölunfällen zusammen.“**
„Das erste Mal in der Geschichte setzen wir das Lösungsmittel nach Austritt des Öls direkt am Meeresboden ein und es scheint sehr gut zu wirken.“**
Dean Blanchard
(größter Garnelenhändler Louisianas)
„Die Garnele ernährt sich von Plankton. Wenn sich das Öl auf dem Plankton ablagert können Garnelen und die kleinen Fische das nicht mehr fressen. Dann können auch größer Fische nichts mehr finden. Es ist alles eine große Kette. Das ist wie ein Todesurteil. Deshalb bin ich so wütend auf die Briten. Alles wofür ich 28 Jahre gearbeitet habe, mein ganzes Leben, ruiniert. Jetzt gehe ich ins Büro und laufe Kreise, weiß nicht was ich tun soll.“**
BP Homepage
„Eine der Schlüsselaktivitäten bei BP’s Antwort auf den Ölteppich war das „Schiffe der Möglichkeiten“-Programm, bei dem Berufs- und Charterfischer aus den Kommunen rund um den Golf eingesetzt werden, um Ölsperren zu schleppen oder zu setzen.“
Institute for Southern Studies
Golf Fischer gewinnen Rechtsstreit gegen BP’s unfaire Geheimhaltungsverpflichtung.
Die „großzügigen“ und zum Teil nur schleppend gezahlten Entlohnungen für Reinigungsarbeiten an Stränden oder auf dem Meer sind immer mit der Verpflichtung verbunden, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen „mit niemand über den Unfall und die Reinigungsarbeiten sprechen“ ,bevor nicht BP „zugestimmt hat“.
Werden Lehren aus der Katastrophe gezogen?
Wachstum
Die Zukunft des globalen Kapititalismus
Karl-Heinz Paqué
Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-42350-3
Oliver Hauck:
„Ob uns durch diesen Horrorfilm ein Licht aufgeht und wir endlich kapieren, dass auch wir Verantwortung tragen, dass auch wir uns ändern müssen und die Regierung sich ändern muss, ob das möglich ist? Wir denken immer sehr kurzfristig. BP wird aus den Nachrichten verschwinden, sobald das Leck gestopft ist.“**
John Hofmeister:
„Was ich in meinen Jahren als Präsident von Shell Oil gelernt habe, das amerikanische Volk ist klug und pragmatisch, wenn es gut informiert wird. Wir können keine Autos, Flugzeuge oder Schiffe mit Wind und Solarenergie betreiben. Nicht jetzt, nicht in 10, nicht in 20 Jahren. Unsere Nation, unsere Wirtschaft, unser Lebensstil verbraucht 40.000 Liter jede Sekunde. Ob wir’s mögen oder nicht, Realität ist Realität. Wenn wir aufhören zu bohren, wo soll es herkommen? Die Bezeichnung „saubere Energie“ und „dreckige Energie“ ist ein Mythos. Jede Energieform hat ihre Konsequenzen. Wir zählen die toten Pelikane im Golf. Warum reden wir nicht über die tausende von Vögeln, die versuchen durch Windfarmen zu fliegen?“**
((Dieser Beitrag entstand auf der Grundlage eines Fernsehbeitrags bei Phoenix, wörtliche Zitate (gekennzeichner mit **) wurden von dort übernommen))
Wie BP jahrelang ein grünes Image vortäuschte – ZAPP Medienmagazin – NDR
Das Krisenmanagement der BP – WELTBILDER – NDR
http://www.youtube.com/watch?v=gzOl_h3sPVc
http://www.youtube.com/watch?v=YNq6vW-9_Nc
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