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Erfolg rechtfertigt gar nichts! Teil4

Das nachfolgende Interview mit  dem Tübinger Theologieprofessor Hans Küng veröffentlichen wir im Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Interviewer Anna Marohn und Christian Tenbrock (Quelle: DIE ZEIT 04.01.2010).

Teil 4: „Es geht um Bewusstseinsveränderung“

ZEIT: Wie gehen Sie dann mit Unternehmen um, die Ihr Manifest unterschreiben, die aber in der Realität Dinge tun, die Ihnen Bauchschmerzen verursachen?

Küng: Es wäre völlig unrealistisch, wenn sich unsere Stiftung zum Richter machen würde. Keiner der Unterschreibenden, das haben wir klar herausgestellt, kann verantwortlich gemacht werden für alles, was in seinem Unternehmen geschieht. Wir stellen keine Zertifikate aus und veröffentlichen keine Rangliste über gute Unternehmensführung. Trotzdem überlegen es sich die Unternehmen, ob sie unterschreiben.

ZEIT: Weil sie sich angreifbarer machen würden?

Küng: Natürlich. Weil sie dann mit den Inhalten der Erklärung konfrontiert werden könnten. Es geht wie gesagt um Bewusstseinsveränderung. Das wichtigste Charakteristikum dieses Manifests ist ja, dass wir aus dem ungeheuren Schatz der Tradition der gesamten Menschheit schöpfen. Die Verfasser des Manifests brauchten also nichts neu zu erfinden. Wir alle gemeinsam müssen uns nur erneut dieses Schatzes bewusst werden.

ZEIT: Obwohl es noch immer große Unterschiede zwischen den Kulturkreisen gibt?

Küng: Natürlich gibt es keine Norm, die nicht kulturell geprägt ist. Folglich ist zum Beispiel unser Begriff von Wahrhaftigkeit ein anderer als etwa der in Asien. Ein Japaner lächelt noch, obwohl er nein meint. Aber gleichzeitig gibt es Konstanten, die in der Menschheit da sind und die überall gelten. Es stimmt einfach nicht, dass in Asien alles anders ist. Auch in Japan können Sie nicht einfach lügen. Auch dort wird Korruption bestraft.

ZEIT: Sie glauben, dass wir uns tatsächlich auf den Weg zu einem »Weltethos« machen können?

Küng: Wir sind längst dabei. Die Geschichte zeigt zwar, dass solche Prozesse lange dauern. Aber sie zeigt auch, dass die Menschheit ganz erfolgreich war. Nehmen Sie die USA. Vergleichen Sie die Situation von vor 50, 60 Jahren mit der von heute. Sie stellen fest, dass vier Gruppen, die damals nichts zählten, jetzt viel zu sagen haben. Wissen Sie welche?

ZEIT: Die Schwarzen …

Küng: Die Schwarzen und zuvor schon die Juden, die Katholiken – und die Frauen! Diese ungeheure Veränderung zeigt, wozu eine Gesellschaft fähig ist. Warum also nicht auch im Bereich der Wirtschaft? Ich lebe nicht im Wolkenkuckucksheim. Aber man muss anerkennen, dass es Prozesse gibt, die uns Menschen vorangebracht haben. Es ist gewaltig viel geschehen. Das gibt mir das Recht, zu sagen: Auch in Sachen Weltethos und Ethos für die Wirtschaft ist vieles möglich.

ZEIT: Ihr Optimismus in Ehren …

Küng: … hören Sie, in Deutschland denkt doch heute in den Bereichen Friede und Abrüstung, Ökonomie und Ökologie und Partnerschaft von Mann und Frau so gut wie niemand mehr noch so wie vor 30 Jahren! Gerade ist in Kopenhagen der Weltklimagipfel zu Ende gegangen. Natürlich wurde da gekämpft, und natürlich kann man mit dem Resultat nicht zufrieden sein. Aber dass es überhaupt zu dieser historischen Auseinandersetzung gekommen ist, ist doch ein Ereignis ersten Ranges für die Menschheit! Und wissen Sie was: Im Grunde genommen ging es immer auch um ethische Fragen. Überall wurde auch mit ethischen Argumenten gearbeitet. Ist das nichts?

ZEIT: Herr Professor Küng, wir danken Ihnen für das Gespräch.