Warum das Recht auf Bildung nicht für alle gilt
von Katja Urbatsch
Heute stellen wir ein Buch vor, das schon vor zwei Jahren erschienen ist. Die Verfasserin ist, wie der Verlag in seiner damaligen Vorankündigung sagt „die erste Akademikerin in der Familie“ und deshalb mit den Problemen von Kindern aus hochschulfernen Familien vertraut. Sie hat 2008 das Netzwerk ArbeiterKind.de gegründet, zur Förderung des Hochschulstudiums von Nicht-Akademikerkindern.
„Ausgebremst“ ist – leider – nicht von der Zeit überholt worden und beschreibt die damals wie heute bestehenden Ungleichheiten und Benachteiligungen. Chancengleichheit ist im deutschen Bildungswesen nach wie vor ein Fremdwort.
Unsere Rezension stammt von A. Richter. Vielen Dank dafür!
Sich am typisch akademischen Bildungsweg entlang hangelnd erklärt Katja Urbatsch an jeder wichtigen Schnittstelle, woran es bei Nicht-Akademikerkindern oftmals scheitert. Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule, die Entscheidung zur Aufnahme eines Studiums, dessen Finanzierung, aber auch die Entwurzelung und Loyalitätskonflikte mit der eigenen Familie und des alten Freundeskreises werden besprochen. Dabei verzichtet sie dankenswerterweise auf zu viel Jargon, sondern schreibt in einer relativ einfachen Art und Weise. Man kann sich gut vorstellen, das Gelesene von Ihr selbst während eines gemütlichen Kaffeeklatsches erzählt zu bekommen, weshalb es ein Vergnügen war dieses Buch zu lesen! Nichtsdestotrotz hat es natürlich Stärken und Schwächen.
Beginnen wir mit den Stärken:
Die Autorin erklärt auf eine sehr authentische Art die Denkweise, Glaubenssätze, Probleme und Unsicherheiten, die bei Menschen aus nicht-akademischen Haushalten und deren Familien tagtäglich anzutreffen sind und die einem gesellschaftlichen Aufstieg im Wege stehen. Diese Darstellung aus der Innenperspektive heraus erachte ich als äußerst wichtig. Meiner Erfahrung nach ist es für Menschen aus Akademikerfamilien oftmals unbegreiflich, dass andere Menschen oder Familien nicht so denken / handeln / funktionieren wie sie selbst. Ein Beispiel: die Idee, dass die Entscheidung für ein Studium gleichzeitig einen Bruch mit der Familie bedeuten könnte bzw. gegen den Willen der Eltern durchgesetzt werden muss, finden viele meiner eigenen Akademikerfreunde befremdlich. Weitere Themen sind die lähmende Existenzangst, der Angst einflössende Respekt für Autoritätspersonen, ständiger Rechtfertigungsdruck gegenüber der Familie und Verwandtschaft, etc, die in bestimmten gesellschaftlichen Schichten ganz einfach in der Art und Weise unbekannt sind. Es ist diese Authentizität und Klarheit in der Schilderung eines für Akademiker oftmals fremden Wertesystems, die eine der besonderen Stärken des Buches ausmacht. Ich kann daher jedem, der die Probleme der „bildungsfernen Schichten“ verstehen möchte, nur dringend zur Lektüre rate. Ich hoffe, dass der eine oder andere Reformverantwortliche durch das Buch ein paar Ideen und Einsichten erhält, mit denen er im Großen oder Kleinen das Leben für „Ersties“ leichter machen kann.
Insbesondere die letzen beiden Kapitel fand ich besonders spannend, in denen es mehr oder weniger um die Distanzierung von der alten Lebenswelt und der Erfahrung des Arbeiterkindes in der fremdartigen Uni-Umgebung geht. Hierzu gab es bisher meines Wissens nach nur „Strangers in Paradise“ (Ryan & Stackrey) und „This Fine Place So Far From Home“ (Dews & Law), welche sich allerdings beide auf Amerika beziehen. Es wäre spannend und ungemein hilfreich, wenn die Autorin diesen Teil in einem zukünftigen Buch ausbauen würde, vielleicht sogar im selben Format wie die genannten Werke.
Was sind nun die Schwächen?
Es ist ein stellenweise zu subjektives Buch, und insbesondere in den ersten beiden Kapiteln waren es ein paar vereinfachte Wahrheiten und persönliche Glaubenssätze zu viel für mich. Man hätte das Buch durchaus ein wenig objektiver gestalten oder zumindest einige der Aussagen rhetorisch überdenken können. So wird es wahrscheinlich bei den „Entscheidern“ nicht so ernst genommen, wie es das Buch eigentlich verdient hätte. Abgesehen davon wirken viele der Beispiele ein wenig künstlich, was grade deswegen Schade ist, da sie es sicherlich nicht sind. Ferner ist der Untertitel sehr ungünstig gewählt. Für diese Sachen gibt es Abzüge in der B-Note.
Alles in allem aber ein definitiv empfehlenswertes und wichtiges Buch.
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