
Quelle: photocase; Foto: MMchen
Fast könnte man auf diesen Gedanken kommen, wenn man die Begründung für die Ablehnung unserer Petition zur Einführung des e-Votings (elektronisches Abstimmungsverfahren) im Deutschen Bundestag durch den Petitionsausschuss liest.
So heißt es im Schreiben vom 18.04.2011:
“Zu Ihrem Anliegen hat die Bundestagsverwaltung zwischenzeitlich Stellung genommen.
Der Ausschussdienst hat daraufhin die Sach- und Rechtslage zu Ihrer Petition unter Berücksichtigung der Stellungnahme sorgfältig geprüft und bewertet. Er kam danach zu dem Ergebnis, dass Ihre Petition offensichtlich erfolglos bleiben wird. Der Petitionsausschuss sieht daher davon ab, sie auf seinen Seiten im Internet zu veröffentlichen.”
In der Stellungnahme des Bundestagsfachbereichs Parlamentsrecht, PD 2, heißt es gleich zu Beginn: “Zunächst sei vorangestellt, dass bei Abstimmungen im Deutschen Bundestag grundsätzlich kein Bedarf für eine exakte Zählung der Stimmen besteht.”
Eine erstaunliche Aussage, die eigentlich nur jemand machen kann, der das Informationsbedürfnis der Bürger – des Souveräns, wie Politiker auch gerne sagen – für unerheblich hält oder gleich ganz ignoriert. Kein Blick für das öffentliche Interesse am Abstimmungsverhalten des einzelnen Volksvertreters.
Dabei geht es genau darum!
Wie lässt sich für mich als Bürger nachvollziehen, wie der von mir gewählte Abgeordnete im Einzelfall gestimmt hat, wie er ein bestimmtes Thema demzufolge in der parlamentarischen Diskussion vertritt?
Im weiteren Verlauf der Stellungnahme erläutert Regierungsinspektorin Misselwitz: “für gewöhnlich erfolgen Abstimmungen im Plenum durch schlichtes Handzeichen bzw. – bei der Schlussabstimmung über Gesetzentwürfe – durch Aufstehen oder Sitzenbleiben (§ 48/1 GO-BT)” und “Kommt es im Rahmen dieses Verfahrens in seltenen Fällen zu Unklarheiten, kann eine zahlenmäßige Erfassung des einzelnen Abstimmungsverhaltens durch das so genannten Hammelsprungverfahren (§ 51 GO-BT) erfolgen.
“Im Übrigen kann eine Erfassung des Abstimmungsverhaltens jedes einzelnen Abgeordneten jederzeit auf Verlangen einer Fraktion oder anwesenden 5 vom Hundert der Abgeordneten durch eine namentliche Abstimmung erfolgen, § 52 GO-BT. Um dies zu belegen verweist sie auf die Internetseite Namentliche Abstimmungen des Deutschen Bundestages.
Frau Misselwitz weist ferner darauf hin, dass sich die zuständigen Gremien des Deutschen Bundestages in der Vergangenheit “wiederholt mit der Möglichkeit der Einführung einer elektronischen Abstimmungsanlage befasst” haben und sich im Ergebnis “für die Beibehaltung der oben geschilderten Abstimmungsverfahren und den insofern bekannten und in der Öffentlichkeit nachvolziehbaren parlamentarischen Abläufen entschieden, die sich in langer parlamentarischer Praxis bewährt haben.”
Besonders bemerkenswert erscheint uns der folgende Satz:
“Darüber hinaus bestanden auch Zweifel, ob eine solche elektronische Abstimmungsanlage tatsächlich die Gewähr einer absoluten technischen Zuverlässigkeit biete …”
Zweifel, die offensichtlich nicht bestehen, wenn bei der “Verwaltung und Erfassung von Bürgern” auf elektronische Mittel zurückgegriffen wird.
Ebenso bemerkenswert die Fortsetzung des Satzes:
“… und ihr Einsatz gegenüber den herkömmlichen Abstimmungsverfahren zu einem wesentlichen Zeitgewinn führen würde.”
Man zieht also ernsthaft in Zweifel, dass 621 “Klicks” an einer Abstimmungsanlage mit Eingabeterminals an jedem Parlamentarierplatz einen erheblichen Zeitgewinn gegenüber 621 Hammelsprüngen bieten würden?
Und noch eine Argumentation deren Logik sich nicht sofort erschließen mag: “Soweit der Petent den Einsatz von elektronischen Abstimmungsanlagen in anderen Parlamenten anspricht, sei darauf hingewiesen, dass zwischen Parlamenten mit elektronischen Abstimmungsanlagen und dem Deutschen Bundestag teilweise erhebliche Unterschiede in der allgemeinen parlamentarischen Arbeit und der damit zusammenhängenden Bedeutung der Plenarsitzungen bestehen.”
Na und – möchte man fragen. Abstimmung ist Abstimmung und zählen ist zählen. Wo ist das Problem?
Elektronische Abstimmungsanlagen gibt es bereits seit Jahren im französischen Parlament. Ebenso haben viele Kantonsparlamente der Schweiz elektronische Abstimmungsanlagen eingeführt und sind mit der Wirkungsweise sehr zufrieden. Zwei Argumente werden in der Schweiz besonders häufig genannt:
Schweizer Kantone mit elektronischer Abstimmungsanlage:
Bern, seit 1997
Freiburg, seit 2000
Waadt, seit 2001
Wallis, seit 2001
Genf, seit 2001
St. Gallen, seit 2002
Tessin, seit 2003
Basel-Land, seit 2005
Appenzell, seit 2005
Aargau, seit 2005
Zürich, seit 2008
Sicherheit des Abstimmungsergebnisses. Unter dem heutigen Regime werden Hände gehoben und dann wieder gesenkt (zum Teil mehrmals) und zum Teil wird eine Hand auch nur zaghaft gehoben. Auch wenn sich mit etwas Übung seitens der Stimmenzähler die Fehlerquote beim Auszählen von Hand reduzieren lässt, ist dieses Prozedere trotzdem mit Unsicherheiten belastet. Mit einer Abstimmungsanlage lassen sich diese Unsicherheiten weitgehend beheben.
und
Erhöhung der Transparenz. Die elektronische Stimmabgabe ermöglicht eine Aufzeichnung und Speicherung des Stimmverhaltens der Parlamentsmitglieder. Interessiert an einer solchen Aufzeichnung, gegebenenfalls auch an einer Auswertung oder gar Protokollierung, sind neben der Fraktionsleitungen auch die Medien und – von Fall zu Fall – der politische Gegner. (Anmerkung der Redaktion: In Deutschland gehörte in diese Aufzählung sicher noch “die Bürger”)
Auch das Europäische Parlament verfügt über eine elektronische Abstimmungsanlage, setzt diese jedoch nicht regelmäßig ein (Geschäftsordnung Art. 165, 167, 171).
In den Reden der Politiker ist mehr und mehr die Rede von Teilhabe und mehr Mitsprache der Bürger. Die Transparenz politischen Handelns soll größer werden, die Informationen für die Bürger besser. Wenn dann aber konkret ein Instrument für mehr Transparenz im parlamentarischen Betrieb gefordert wird, dann wird dies mit Hinweis auf althergebrachte Systeme abgelehnt.
Das gefällt uns nicht.
Mit Post vom 25. Mai 2011 haben wir unsere Einwendungen an den Petitionsausschuss eingereicht. Das Schreiben im Wortlaut.
Während der Wartezeit prüfen wir die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde.
Information zur Petition:
Den Petitionsantrag zur Einführung einer elektronischen Abstimmungsanlage haben wir am 11. Februar 2011 mit der Begründung, dass damit mehr Transparenz in die parlamentarischen Abstimmungen käme, eingereicht . Als nicht unerhebliche Nebeneffekte haben wir außerdem noch den Zeitgewinn bei Abstimmungen und die größere Sicherheit bei der Zählung angeführt. Der Eingang unseres Antrags wurde mit Schreiben vom 17.02. 2011 bestätigt.
Links zu diesem Beitrag
Bundestag – Kein Bedarf an transparenten Abstimmungen abgeordnetenwatch
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Vielen Dank für Ihre Initiative!
Das Anliegen ist mehr als berechtigt. Man sollte aber die Transparenz in den Vordergrund stellen, damit jeder Wähler nachvollziehen kann, was der von ihm gewählte Abgeordnete treibt. Ein elektronisches Abstimmsystem ist nur die technische Umsetzung, die es mit heutiger Technik ermöglicht, jede Abstimmung ohne zeitlichen oder sonstigen Mehraufwand für die Abgeordneten, aber mit erheblichem Mehrwert für die Bürger, als namentliche Abstimmung durchzuführen und die Ergebnisse umgehend automatisch im Internet zu veröffentlichen.
Die Kosten eines solchen Systems sind zu vernachlässigen, im Vergleich mit dem Nutzen für das Vertrauen der Bürger und die Akzeptanz und Transparenz der demokratischen Verfahren.
Die Sicherheit eines solchen Systems kann auch kein Argument dagegen sein, weil bei offenen Abstimmungen jeder Abgeordnete sofort kontrollieren kann, ob seine Stimme richtig gezählt wurde.
Die Bundestagsverwaltung und die Parteien werden sich trotzdem mit allen Mitteln dagegen wehren. Das liegt aber daran, dass der Bundestag bei nicht namentlichen Abstimmungen seit Jahren ein verfassungswidriges Abstimmungsverfahren praktiziert, bei dem meistens nicht mehr als 50 Abgeordnete über Gesetze beschließen. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (BTGO) verlangt in §45:
(1) Der Bundestag ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist.
(3) Nach Feststellung der Beschlußunfähigkeit hebt der Präsident die Sitzung sofort auf. …
Der Bundestag verstößt permanent gegen seine eigene Geschäftsordnung und gegen die Verfassung. Fast alle Gesetze sind verfassungswidrig zustande gekommen. Es ist also nicht zu erwarten, dass die Parteien und die Bundestagsverwaltung eine Petition zulassen werden, die diesen von den Parteien gewollten permanenten Verfassungsbruch offenlegen und seine Beseitigung erzwingen, weil es sonst für jeden Bürger sichtbar wird, wenn der Bundestag weiterhin Gesetze beschließt, ohne beschlussfähig zu sein.
Was kann man tun? Mit einer Verfassungsklage gegen den BundesTAGSpräsidenten drohen, weil er permanent die Verfassung und die BTGO missachtet? Verfassungsklage gegen alle Fraktionen und Abgeordneten? Oder 50 000 gleichlautende einzelne Petionen einreichen, die nicht alle wegen fehlender Unterstützung abgelehnt werden können?
Bitte nicht aufgeben, ich halte das für eine der wichtigsten Petitionen zur Stärkung der demokratischen Kultur, weil sie es jedem einzelnen Abgeordneten ermöglicht (und es von ihm verlangt) seine abweichende Stimme bei jeder Abstimmung abzugeben. Das ist auch eine wesentliche Stärkung der Abgeordneten gegenüber den Parteien und macht es schwieriger, Abstimmungen in den Hinterzimmern der Parteien auszukungeln und Paragraphen in Gesetze oder ganze Gesetze durch die Abstimmungen zu schmuggeln, ohne dass die Mehrzahl der Abgeordneten es überhaupt mitbekommt. Das sind natürlich auch alles Gründe, warum die Parteien ein solches verfassungsgemäßes Abstimmungsverfahren nicht zulassen wollen.
Dann bliebe noch die Möglichkeit, die Öffentlichkeit für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren, ggf. unterstützt durch eine spektakuläre Verfassungsklage, über die auch die Medien berichten müssten.
Viel Erfolg!
Beitrag auch bei:
http://blog.abgeordnetenwatch.de/2011/05/27/bundestag-kein-bedarf-an-transparenten-abstimmungen/#comment-6707