
Quelle: pixelio ; Foto:Dr. Klaus Uwe Gerhardt
Nicht nur die Wutbürger, sondern wir alle müssen eine Debatte über den Euro verlangen.
Da wird zu viel gelogen und verschwiegen.
Wenn es stimmt, dass der Preis für die Wiedervereinigung die Preisgabe der DM war, dann hat es sich um einen guten Tausch gehandelt. Keinem anderen Land ist dieser Tausch bisher so gut bekommen wie der Bundesrepublik Deutschland. Seit der Einführung des Euro war die Inflation geringer als zu Zeiten der DM; der deutsche Export ist seither um 90 % gestiegen.
Aber wo sind die Politiker, die den Deutschen diese und andere Vorteile in Erinnerung rufen und ihnen vorrechnen, was eine Aufgabe des Euro sie politisch und wirtschaftlich kosten würde? Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung konkurriert mit der Bildzeitung um die populärste Version der Schlagzeile: „Die Deutschen müssen wieder zahlen.“ Ausgerechnet jetzt sollen sich die Deutschen mit ihren 3,5 % Wachstum und der geringsten Arbeitslosigkeit seit 20 Jahren in ihrer liebsten Rolle sehen – als die Braven, die Fleißigen, als die Opfer, die von korrupten Südländern und muslimischen Sozialbetrügern schamlos ausgebeutet werden. Und natürlich ist etwas dran an diesem Bild. Warum sollen sie für Mitgliedsstaaten zahlen, deren Lebensstil nach dem Prinzip „Hauptsache ich und die Meinen!“, dem gewohnheitsmäßigen Steuerbetrug, dem Klientelismus und der Korruption gehorcht? Es liegt ja auf der Hand, dass solche Nationen sich am Ende selbst betrügen. Weil sie nicht den Tüchtigsten Aufstiegschancen bieten, sondern den Kandidaten mit den jeweils besten Beziehungen zur Macht- und Geldelite.
Ja, wir haben durchaus Anlass, den Schmähungen der deutschen „Sekundärtugenden“ – Pflichtgefühl, Disziplin, Berechenbarkeit, Standhaftigkeit; damit, sagte Oskar Lafontaine 1982 im Stern an die Adresse von Bundeskanzler Helmut Schmidt, könne man auch ein KZ betreiben! – ein gerechteres Urteil hinterherzuschicken. Der unstreitige Erfolg der Produkte deutscher Ingenieurskunst in aller Welt ist ganz zweifellos einigen dieser Tugenden zu verdanken. Das Gleiche lässt sich leider nicht über die Produkte der deutschen Finanzelite sagen.
Wo sind die deutschen Politiker, die ihren Wählern sagen, dass Irland jetzt geholfen werden muss, weil vor allem deutsche Banken das Geld ihrer Kunden dort verzockt und faule Immobilienkredite im Wert von 113 Milliarden in ihren Büchern stehen haben? Sollen sie doch auf diesen Krediten sitzen bleiben, sagt der Wähler, sage ich – und ebenso bei den anstehenden Insolvenzen in Portugal, Spanien, Belgien und Italien. Wo sind die Politiker, die uns darüber aufklären, dass wir dann vor vielen geschlossenen Türen eben jener Banken stehen würden, denen wir unsere Ersparnisse anvertraut haben? Dass sie, die Politiker und wir, in der Hand der Banken sind und sämtliche Entscheidungen in einem permanenten Zustand der Erpressung treffen?
In eben diesem Zustand hat Angela Merkel beim vorigen EU-Gipfel alle notwendigen Entscheidungen aufgeschoben. Warum werden die verschiedenen Szenarien – Haircut (sprich: die Schulden insolventer Länder streichen), Finanzierung der Schulden durch Eurobonds, Auseinanderfallen der Währungsunion in einen Nord- und einen Süd-Euro, Rückkehr zur DM – nicht mit allen politischen und wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen diskutiert? Nicht nur die Wutbürger, wir alle müssen uns in dieser Sache für mündig erklären und eine öffentliche Debatte über den Euro, genauer: über unsere Zukunft, verlangen.
Erstveröffentlichung: Frankfurter Rundschau vom 21.12.2010, Autor: Peter Schneider
Wir danken dem Autor und der Frankfurter Rundschau
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