Jobcenter – Center für Ungerechtigkeiten + Benachteiligung?

Welten prallen aufeinander. Perspektivlose, zerrüttete, mittellose Menschen sind meist das Klientel der Job-Center. Sparzwänge, frustrierende Bedingungen und unzureichende Ausbildung lasten Kritikern zufolge auf vielen dortigen Mitarbeitern. Pauschale, häufig ungerechtfertigte Sanktionen seien in der Folge an der Tagesordnung.

Daniel Dohmel arbeitete knapp drei Jahre in einem baden-württembergischen Job-Center. Er weiß, welchen Druck die Politik an die Mitarbeiter weitergibt: „Es war eine Katastrophe und wird immer schlimmer.“ Heute ist Dohmel einer der wenigen Rechtsanwälte in Deutschland, die sich auf Sozialrecht spezialisiert haben. „Ungefähr 90 Prozent meiner Rechtsbehelfe sind erfolgreich“, sagt der Reutlinger. Insgesamt halten viele der Bescheide einer Überprüfung nicht stand. So waren 2008 von den eingelegten Widersprüchen gegen Sanktionen schon 41 Prozent erfolgreich, von den eingereichten Klagen sogar 65 Prozent.

Die Höhe der fehlerhaften Bescheide liegt unter anderem an unzureichender Ausbildung der ARGE-Mitarbeiter, sagt Klaus Kittler vom Referat Arbeitslosenhilfe im Diakonischen Werk Württemberg: „Teils werden Beamte und Angestellte in die Jobcenter gesetzt, die aus ganz anderen Berufen kommen. Mit der sozialen Arbeit sind sie logischerweise überfordert.“ Ein Stück weit werde die Sanktionspraxis von der Politik vorgegeben. Man müsse auch davon ausgehen, dass Mitarbeiter in einigen Jobcentern nach ihrer Sparsamkeit bewertet werden: „Offiziell gibt es so etwas natürlich nicht, aber immerhin sind die Sanktionsquoten auch eine Kennzahl im Vergleich zwischen den Job-Center.“

Baden-Württembergs Landesarbeitsministerin Monika Stolz sagt, dass darüber im Ministerium „keine Erkenntnisse vorliegen“. Zudem lägen „keine Nachweise vor, dass Sanktionen oft zu Unrecht verhängt werden“. Zum Fördern gehöre außerdem zwingend auch das Fordern, deshalb könne im Einzelfall auf eine Sanktion nicht verzichtet werden.

„Wir sind vom Bund angehalten, sparsam mit den Steuergeldern umzugehen. Der Hebel dazu ist, die Menschen in Arbeit zu bringen und nicht die Sanktionen“, sagt Christoph Häring, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit. Die Bedingungen fürs Personal in den Job-Centern sind laut Wohlfahrtsverbänden wie der Diakonie schwierig. Hohe Fluktuation, befristete Verträge, unzureichende Ausbildung herrschten dort. Da sei es verständlich, sagt Dohmel, dass sich in den Job-Centern nur wenig Personal mit dem SGB II auskenne.

Ein Fünftel aller Verträge der rund 4500 Job-Center-Mitarbeiter in Baden-Württemberg sind befristet. „Es ist besser, mit erfahrenen Dauerkräften zu arbeiten“, sagt auch Häring. Er betont aber, „dass wir in Baden-Württemberg keine große Fluktuationswelle haben“. Dennoch, im Sommer 2009 mussten etwa im Job-Center Landkreis Reutlingen 10 Prozent aller Stellen nach Kündigung neu besetzt werden. 50 Prozent der Mitarbeiter dort waren zum damaligen Zeitpunkt nicht länger als ein Jahr angestellt, und ein Drittel hatte einen befristeten Arbeitsvertrag.

Paragrafenwürmer, unklare Zuständigkeiten: Das deutsche Sozialrecht mit seinen zwölf Büchern ist kompliziert, schwer verständlich und mit der Realität vieler Menschen nicht kompatibel. Ohne Anwalt landen die Menschen oft in einer Sackgasse. Doch Juristen sind auf diesem Gebiet rar gesät, bestätigt Daniel Dohmel: „Das ist ein Nebenkriegsschauplatz, weil die Materie so kompliziert ist, dass selbst Fachleute häufig nicht durchblicken.“

Kurzfristig helfen kann ein Anwalt nicht. „Deeskalation ist nicht unbedingt gefragt“, sagt Dohmel. Anders als im alten Sozialrecht, das vorsah Sanktionen pädagogisch einzusetzen und sie Sachbearbeiter gegebenenfalls zurückzuziehen konnten, haben Widersprüche gegen Sanktionen keine aufschiebende Wirkung mehr im SGB II. So sieht die Evangelische Obdachlosenhilfe in Deutschland den Anstieg der Wohnungslosigkeit bei der Gruppe der Unter-25-Jährigen eng mit den Sanktionen im Rahmen der Hartz-IV-Maßnahmen verbunden. Schon wegen kleiner Verstöße wie versäumten Meldeterminen würden Sanktionen verhängt. Sie reichen von der Kürzung des Regelsatzes um zehn Prozent bis hin zur Streichung des gesamten ALG II für drei Monate.

Die Diakonie forderte bereits im Dezember vergangenen Jahres, dass Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger sofort ausgesetzt werden müssen. „Die oft zu Unrecht verhängten Sanktionen führen bei den Betroffenen dazu, dass sie zeitweise unterhalb des Existenzminimums leben müssen“, sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender der württembergischen Diakonie. Da die Politik es versäumt habe, rechtzeitig eine bürgerfreundliche und verfassungskonforme Zuständigkeit für Hartz-IV-Empfänger zu regeln, würden sich die altgedienten, qualifizierten Mitarbeiter häufig nach neuer Arbeit umsehen und seien stark verunsichert.

„Eine hohe Fluktuation und befristete Anstellungsverhältnisse sind einer guten Integrationsarbeit abträglich“, sagt Ministerin Stolz. Aus ihrer Sicht resultierte die hohe Fluktuation vor allem aus der ungewissen Zukunft der Job-Center: „Das ist nun mit der Neuorganisation in gemeinsamen Einrichtungen geklärt. Damit dürfte sich die Flucht aus den Job-Centern, insbesondere auch bei den kommunalen Mitarbeitern, deutlich verringern.“

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Neuordnung versprechen sich die Mitarbeiter der Job-Center Verbesserungen. „Wenn sich die Bundesagentur um ALG I kümmert und die Kommunen um ALG II, ist das Leistungspaket in einer Hand“, sagt Baden-Württembergs Städtetagspräsident Ivo Gönner (SPD). Das käme besonders Menschen zugute, die soziale Defizite haben: „Die Kreise sind geübt in der Eingliederungshilfe. Wir sind näher dran und in der Lage, Pakete zu schnüren, die zur Stabilität der Person beitragen.“  Die Bundesagentur für Arbeit, sagt Häring, hätte sich gewünscht, dass die Politik früher entscheidet, wie die Neuordnung der Jobcenter aussehen soll: „Ab 2011 haben wir ein funktionierendes System, so dass die Menschen gut betreut und unterstützt werden. Wir sind nach vorne orientiert.“

Daniel Knep

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  1. Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass sich die Verwaltungskosten für Hartz IV im Vergleich zum Vorjahr weiter erhöht haben. Unglaubliche 4,4 Milliarden sind für 2010 als „Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ im Bundeshauhalt veranschlagt. Berücksichtigt man alle zu finanzierenden Kosten, ergeben sich 5 Milliarden Euro! Rechnerisch wurden laut Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e.V. im Haushaltsjahr 2009 vom Bund 1.183 Euro pro SGB II-Bedarfsgemeinschaft für SGB II-Verwaltungskosten ausgegeben.
    Fördergelder für Arbeitslose werden zur Finanzierung der Personalkosten in den Argen eingesetzt. (http://www.muensterschezeitung.de/lokales/muenster/Muenster-Arge-finanziert-ihre-Angestellten-mit-Arbeitslosen-Mitteln;art993,841761) Luxus-Arbeitsverträge ohne Ausschreibungen mit Boni, Geschäftswagen und zusätzlichem Urlaub werden abgeschlossen.(http://www.focus.de/finanzen/news/arbeitsmarkt/bundesagentur-fuer-arbeit-gutduenken-und-geschacher_aid_508308.html) Für die Imagepflege des Arbeitsministeriums werden Millionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereitgestellt. (http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/1-6-millionen-euro-die-teure-imagepflege-der-ursula-von-der-leyen;2593210)
    Und als Rechtfertigung dient offiziell die Vermittlung von Arbeitsuchenden Menschen. Wie gestaltet sich aber die aktuelle Situation im Mai auf dem Arbeitsmarkt? 3.242.000 registrierte Arbeitslose und 1.60 Millionen unterbeschäftigte Personen in Arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sowie 404.000 Nichtleistungsempfänger ergeben ohne große Recherche im großen Zahlenwerk des BA 5 Millionen 246.000 Arbeitslose.
    S. 50 aktueller Bericht: 987.744 ALG I Empfänger + 5.038.185 erwerbsfähige ALG II Empfänger. In der Summe sind dies 6.025.929 Betroffene. Zusätzlich gibt es laut aktuellem Bericht auf Seite 19 weitere 404.000 Nichtleistungsempfänger. Jetzt sind es bereits 6.429.929 Menschen, welche von ALG I oder ALG II (sowie die Nichtleistungsempfänger) abhängig sind. Zusätzlich gibt es noch 830.000 Kurzarbeiter. Insgesamt sind dies bereits 7 Millionen 259.929 Personen. Im Mai hatte die BA für den ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt 321.000 freie Stellen zur Verfügung. Abzüglich von Scheinangeboten (Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,403459,00.html) bleiben der BA zur Vermittlung ca. 225.000 Stellenangebote auf dem ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt, für 6,5 Millionen nach „Arbeit“ suchender Menschen!
    Quelle: http://statistik.arbeitsagentur.de Entwicklung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes im Mai 2010 – Seiten 6/9/17/19/51/
    Es gibt ungefähr 35.000 Jobvermittler. Rechnerisch stehen somit jedem Vermittler 6 freie Stellen zur Vermittlungen bei der BA zur Verfügung. Gleichzeitig wurden im Mai 63.249 Sanktionen ausgesprochen. (z.B. 23.116 wg. Meldeversäumnis / 18.743 wg. Verspäteter Arbeit suchend Meldung)
    Somit hat jeder Vermittler rechnerisch 1,8 Sanktionen ausgesprochen. Betrachtet man das Verhältnis, sollte man sich die Frage stellen, wozu die BA eigentlich tätig ist. Um zu sanktionieren, oder zu vermitteln? Denn insgesamt gibt es bei der BA ca. 100.000 Angestellte. Es bleiben 2 zu vermittelnde Stellen für den ersten, ungeförderten Arbeitsmarkt pro Mitarbeiter bei der BA! Denn es ist gängige Praxis, (oder bewusste Ablenkung?) die Anzahl der Vermittler in den vermeintlichen Jobcentern immer einer Anzahl zu betreuender Kunden gegenüber zu stellen. Tatsächlich ist in den Argen/bei der BA ein enormes Sparpotential vorhanden, denn die Mitarbeiter in den Argen/bei der BA sind mehr mit Verwaltung und Sanktionen beschäftigt, als mit ihrer eigentlichen Aufgabe. (im Jahr 2008 wurden 780.000 Sanktionen ausgesprochen, ein Jahr später bereits 843.000. Dabei betrafen lediglich 2,5 % die Ablehnung eines Arbeitsangebotes) Das neuste Sparpaket sieht einen Abbau von Bürokratie durch den Abbau von mindestens 10.000 Stellen beim Bund vor. (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,698970,00.html)
    Für die BA wird genau das Gegenteil angestrebt. Über 3.000 Jobvermittler sollen zusätzlich fest angestellt werden, andernfalls verweigert die SPD ihre Zustimmung zur geplanten Jobcenterreform. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/jobcenter-millionen-euro-die-reform-wird-teuer-1.938241) Mehr Vermittler schaffen auch eine Absenkung der Arbeitslosigkeit? Als Vergleich gab es zum Start der Hartz IV Reformen im Jahr 2005 und 5 Jahre später im Januar 2009 25.615 Leistungsempfänger mehr! Auf dem Papier und statistisch kann vieles zu einer Absenkung führen, aber selbst der BA Chef Weise hat bereits 2006 eingestanden: “Unser Hauptproblem ist, dass wir nichts im Angebot haben”, sagt Weise. “Nichts” heißt hier: keine Arbeit. “Wir können nur mit äußerster Mühe den Mangel verwalten.” http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2006/05/11/a0102
    Und diese Verwaltung wird bewusst und mutwillig aufgebläht. Denn der Bürokratismus soll noch weiter ausgebaut werden. (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32753/1.html) Mit der Einführung eines neuen „Amtsdeutsch“ sind noch mehr Widersprüche und Klagen vorprogrammiert. Mit voller Absicht!
    Weitere Einzelheiten über die BA können den „Geschichten eines Hartz IV Paria“ http://www.s-o-z.de/?p=20408#more-20408 entnommen werden.

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