2007 geschrieben – die Probleme immer noch aktuell!
Durchschnittswerte beim PISA-Test zum Wissensstand von Schülern, Lehrermangel, Anarchie an deutschen Hauptschulen und fehlende Lehrstellen einerseits – Studiengebühren und Elite-Universitäten auf der anderen Seite. Im deutschen Bildungswesen gibt es offenbar gegenläufige Tendenzen. Man sollte nicht so viel über die finanziellen Altlasten diskutieren, das wir jüngeren Generationen hinterlassen, sondern lieber das viel folgenreichere Defizit an moderner Ausbildung beseitigen, meint der Kommentator.
Von Ulrich Glauber
Das deutsche Bildungssystem ist krank. Im dreigliedrigen Schulsystem werden Zehn- bis Zwölfjährige – oder besser: deren Eltern – zu Entscheidungen gezwungen, die ihr gesamtes Berufsleben bestimmen werden. Wen es wegen Migrationshintergrunds oder sozialen Problemen an eine Hauptschule verschlägt, hat nichts zu lachen. In manchen dieser Staatsinstitutionen ist kein Unterricht mehr möglich. Verlässt ein Schüler eine Hauptschule, ist er bei möglichen Arbeitsgebern schon als Versager abgestempelt und bekommt nie eine Lehrstelle.
Zu viele junge Leute?
Sicher: Die deutsche Wirtschaft hat im vergangenen Jahr ihre Zusage im zweigleisigen System von betrieblicher Ausbildung und Berufsschule erfüllt. Die Zahl der Verträge mit „Azubis“ stieg im Jahresvergleich um 4,7 Prozent. Dumm ist nur, dass so viele Bewerber auf den Arbeitsmarkt drängen. Jetzt stehen mehr Jugendliche ohne Ausbildungsplatz da als im Jahr zuvor. Da gibt es schon mal mehr junge Leute – und dann ist es auch wieder nicht recht. Richtig kurios wird es, wenn die Wirtschaftsmanager dann über den Mangel an Facharbeitern jammern. Es wäre halt schön, wenn sie kostenlos vom Himmel fallen.
Aber auch sonst bieten unsere allgemeinbildenden Schulen ein trauriges Bild. In einem hoch entwickelten Land, in dem die Unternehmen Rekordgewinne melden, ist nicht genügend Geld für Lehrer da. Bundesländer wie Hessen brüsten sich damit, bei Krankheit der Lehrkraft genügend Freiwillige ohne pädagogische Vorbildung für ihre Schüleraufbewahrungsanstalten aufbieten zu können. Damit sind wenigstens berufstätige Eltern beruhigt. Das kleine Belgien allerdings hält zur Vermeidung von Unterrichtsausfällen Springer mit Fachstudium vor.
„Elite-Unis“ ohne Unterbau
Auf der Suche nach Geldquellen für desaströse Haushalte haben einige Bundesländer jetzt die Studiengebühr entdeckt. Damit kein Missverständnis entsteht: „Ewige Studenten“ sollen sich an den immensen Hochschulkosten ruhig ein wenig beteiligen. Aber ein Erststudium von Durchschnittsdauer müsste in einem Wohlstandsland doch noch kostenlos organisiert werden können.
Milliarden für Elite-Hochschulen
Zum Trost spenden Bund und Länder ausgewählten Hochschulen für die nächsten fünf Jahre das Sümmchen von 1,9 Milliarden Euro für „Zukunftskonzepte zum Ausbau universitärer Spitzenforschung“. Dahinter steckt natürlich wieder die kommerziell orientierte Überlegung, die Ergebnisse dieser Art von Wissenschaft könnten in enger Kooperation von Unis und Wirtschaft zu Geld gemacht werden. Ob sich die Investition lohnt, kann bezweifelt werden: Wo der Unterbau fehlt kann oben nichts Herausragendes rauskommen.
Bildungspolitische Kleinstaaterei
Was wir brauchen wie der Internetnutzer die Suchmaschine, sind gut ausgebildete Lehrer in ausreichender Zahl. Wir müssen unser Klassensystem von der dreigliedrigen Schule aus den Zeiten des Ständestaats umstellen. Kinder sollten bis zum Alter von 16 Jahren gemeinsam unterrichtet werden. Dann kann man sie – bei guter Beratung – langsam für ihr Leben verantwortlich machen. Und wir brauchen die Ganztags-Schule, koste es, was es wolle. Die intellektuellen Ressourcen einer Gesellschaft in unseren Breiten kann man nicht von der Vorbildung der Eltern, dem kulturellen Hintergrund der Schüler oder den zeitlichen Möglichkeiten berufstätiger Erwachsener abhängig machen.
Die jungen Leute werden uns „Heranalternde“ nicht nach hinterlassenen Schulden fragen oder die Rentenzahlungen verweigern. Sie werden stolz auf ihre Leistungsfähigkeit dafür aufkommen, wenn wir sie in die Lage dazu versetzen. Das größte Verbrechen an unseren Nachkommen ist, dass wir nicht allen von ihnen eine gute Ausbildung garantieren. Wir sind nicht nur kurzsichtig, sondern verharren in Kleinstaaterei. In der Europäischen Union schwinden die Grenzen, die Besten können in die ganze Welt abwandern. Und allein schon im Vergleich unter den EU-Ländern wird das deutsche Bildungswesen im jetzigen Zustand nicht mithalten können.
red/
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