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Zu Beginn dieses Jahres verschlug es einem beinahe die Sprache darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Teil der politischen Klasse „Einflussspenden“ aus der Wirtschaft inzwischen nicht nur für legal, sondern auch für legitim hält.
Die Chronologie der Ereignisse: Im Jahr 2009 hatte die FDP bis zur Bundestagswahl von einem Unternehmen 1,1 Mio. Euro an Parteispenden erhalten, das August Baron von Finck gehört. Die Familie des Milliardärs ist wiederum Hauptaktionär der Mövenpick-Gruppe, die unter anderem Hotels betreibt. Und auch aus der Autoindustrie flossen ungewöhnlich viele Spenden im Wahljahr. Rund 300 000 Euro hatte BMW allein an die CDU, CSU und FDP gespendet. Johanna Quandt, die Witwe des einstigen Firmenchafes, spendete der CDU nochmals 300 000 Euro, und ihre Tochter Susanne Klatten, Mitglied im BMW-Aufsichtsrat, der FDP die gleiche Summe.
Erschwerend kam hinzu: Ein Teil des Geldes floss ausgerechnet während der Koalitionsverhandlungen. Nichtsdestotrotz nehmen beide Parteien für sich in Anspruch, Zuwendungen aus dem Hotelgewerbe und der Autoindustrie genommen zu haben, ohne dass dies Einfluss auf ihre Politik habe. Sie weisen den Vorwurf zurück, diese legalen Spenden könnten auf Käuflichkeit schließen lassen.
Dagegen sprechen allerdings bereits die ersten Projekte dieser Koalition: die Absenkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers und ein neuer Rabatt bei der Besteuerung von Jahreswagen für Mitarbeiter. Bei beiden Maßnahmen handelt es sich um unnötige Steuersubventionen; dabei wollten beide Parteien eigentlich das Steuerrecht vereinfachen und Subventionen abbauen.
Was immer wann von wem beschlossen wurde: Es hat mehr als einen fahlen Beigeschmack. Denn es ist höchst weltfremd zu glauben, die Spenden folgten ausschließlich altruistischen Motiven der Unternehmen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie hören nicht auf das Gemeinwohl, sondern sind ihren Aktionären verpflichtet. Die Parteien aber argumentieren, wenn sie diese Einnahmen öffentlich machten, sei alles in Ordnung. Sie halten es für unproblematisch, dass die Bundesrepublik auf diese Weise zur Lobbykratie verkommt. Das jedoch ist nicht nur undemokratisch. Es verstößt auch gegen das Grundgesetz. In dessen Artikel 20 und Artikel 21 heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit.“ Es steht dort nicht: Alle Staatsgewalt geht von Unternehmen aus. Und auch nicht: Die Unternehmen wirken über Lobbyisten und Spenden an der politischen Willensbildung mit.
Offenbar hat sich das politische Selbstverständnis massiv gewandelt. Zugleich hat sich die Schwelle erheblich verschoben, ab der von einem Skandal die Rede ist. Da holt der neue Gesundheitsminister Philip Rösler (FDP) einen Lobbyisten in sein Ministerium – Christian Weber, Spitzenmanager des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, wird Leiter seiner Grundsatzabteilung – und kein Aufschrei geht mehr durch die Republik. Lobbyismus, ob offen oder verdeckt, scheint in Deutschland kaum jemanden mehr aufzuregen.
Dabei ist der Fall Weber gleich aus mehreren Gründen pikant: Seine wichtigste Aufgabe wird die Einführung der Kopfpauschale für rund 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherte sein – ein warmer Regen für die privaten Krankenversicherer. Die Privatisierung des Krankheitsrisikos scheint damit ausgemachte Sache zu sein. Für alle gesetzlich Krankenversicherten wird das erheblich höhere Belastungen zur Folge haben.
Christian Weber ist zudem bereits der zweite Lobbyist, der in der neuen Bundesregierung einen überragenden Posten erhält: Wie die Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft heute funktioniert, demonstrierte nämlich bereits Gerald Hennenhöfer, bisher Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik bei EON. Er wurde Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Umweltministerium. Das ist die Schlüsselposition in der Verhandlung um die AKW-Laufzeiten, die Hennenhöfer, wen wundert es, nun verlängern will.
Die neue Lobbykratie
Beide Personalia wie auch die Spenden offenbaren eine Entwicklung, die sich seit Jahren vollzieht. Die einstigen Grenzen zwischen Politik und Wirtschaft verschwimmen immer mehr und lösen sich letztlich auf. Sowohl Weber als auch Hennenhöfer kommen aus dem politischen Betrieb und fingen dann ohne Karenzzeit in der Wirtschaft an. Jetzt wechseln sie wieder in die Politik.
Schauen wir zurück: Schon in den50er und 60er Jahren begannen die aus den Ruinen des „Dritten Reichs“ auferstandenen deutschen Großkonzerne damit, massiven Einfluss auf den – jetzt demokratisch verfassten Staat zu nehmen. Von Anfang an entwickelte die Bonner Republik eine „Herrschaft der Verbände“ (Theodor Eschenburg), wobei auf der einen Seite Gewerkschaften, auf der anderen Seite Großkonzerne ihre Interessen bündelten und auf vielfältige Art und Weise in den Hinterzimmern der Macht geltend machten.
Das moderne Wort „Lobbying“ existierte zwar noch nicht, wohl aber das Lobbying selbst. Schon damals versuchten Verbände nicht nur, ihre Interessen in der Ministerialbürokratie durchzusetzen, sondern auch ein Wort mitzureden, wenn es darum ging, sich den ein oder anderen einflussreichen politischen Posten zu angeln.
Allerdings galt die institutionelle Trennung von Wirtschaft und Staat als – wen auch etwas scheinheiliger – Konsens. Versuche etwa des legendären sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Karl Schiller, mit seiner „Konzertierten Aktion“ Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik zu einem gemeinsamen Programm zu verpflichten, passten damals insbesondere den Vertretern der Großindustrie nicht in den Kram. Man wollte sich nicht vereinnahmen lassen von der Politik. Der damalige Hauptgeschäftsführer des BDI, Siegfried Mann, argumentierte wie folgt: „Nichts widerspricht dem Rollenverständnis des von unternehmerischem Selbstbewusstsein geprägten Industrie-Spitzenverbands mehr als Autonomieverlust und Verwischung von Verantwortung. Das gilt vor allem im Verhältnis zum Staat.“
Bis Ende der 90er Jahre herrschte auf diese Weise noch eine relativ gediegene Ordnung im Land der deutschen Lobbyisten. Wer die Seiten wechselte – von der Wirtschaft in ein Bundesministerium – der wurde auch vom Ministerium bezahlt. Und vor allem: Der Wechsel fand in aller Öffentlichkeit statt. Die reagierte dann auch allergisch, wenn beim Wechsel in umgekehrter Richtung nicht alles mit rechten Dingen zuging. Man erinnere sich nur an den Fall des FDP-Politikers Manfred Bangemann, der zunächst als deutscher EU-Kommissar zuständig für die Deregulierung der Kommunikationsbranche war und direkt nach seinem Ausscheiden einen hoch dotierten Posten bei einem der weltgrößten Telekommunikationskonzerne, nämlich der spanischen Telefonica ergatterte. Damals flogen dem rundlichen Wirtschaftspolitiker die Negativschlagzeilen nur so um die Ohren.
Kurzum: Die Fallhöhe solcher Skandale, so scheint es, war weit höher als heute.
Rot-Grün – die große Zäsur
Die große Zäsur markiert der Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 1998. Ausgerechnet die in die Jahre gekommenen Alt-68er der Schröder-Fischer-Regierung öffneten neuen Formen des Lobbyismus Tür und Tor. Nun kam es zu Autonomieverlust und Verwischung von Verantwortung – aber anders, als dies der ehemalige BDI-Hierarch Siegfried Mann befürchtet hatte: Nicht die Wirtschaft, sondern der Staat gab nun Autonomie zugunsten von Großkonzernen ab, indem er die Verantwortlichkeiten verwischte. Und das gleich auf mehreren Ebenen.
So wartete Bundesinnenminister Otto Schily von der SPD mit einer spektakulären Idee auf: einem „Personalaustauschprogramm“ zwischen Bundesregierung und Wirtschaft. Vertreter von Konzernen sollten Schreibtische in Bundesministerien beziehen, umgekehrt sollten Bundesbeamte mal die frische Luft der freien Wirtschaft schnuppern. Diese Idee hatte Schily zuvor mit dem Personalvorstand der Deutschen Bank, Tessen von Heydebreck, ausgeheckt. Auf staatlicher Seite machten fast alle Bundesministerien mit. Auf der Wirtschaftsseite gehörten zu den Initiatoren die Deutsche Bank, BASF, Siemens, SAP, Lufthansa, ABB, DaimlerChrysler und Volkswagen – also die Crème de la Crème der deutschen Wirtschaft.
Natürlich verpassten die Apologeten dieses neuen Regierungsstils dem Ganzen auch einen hübschen Namen: „Crossing-over“ . Der Begriff stammt aus den USA- und hat seine Tücken. „Crossing-over“ bedeutet in der Genetik laut Meyers Lexikon: „Genaustausch, Faktorenaustausch zwischen homologen Chromatidenpartnern bei der Chromosomenpaarung“. Auf das politische Gefüge übertragen würde dies bedeuten: Die Wirtschaft überträgt ihr interessengeleitetes Wissen dem Staat, der seinerseits seine Informationen in die Wirtschaft einspeist – eben zum Zwecke der „Chromosomenpaarung“, also der Entstehung eines gemeinsamen Ganzen. Die klassische Trennung von Profitinteressen und Gemeinwohlinteressen wird, folgt man dieser Idee, über den Haufen geworfen. Konsequent auf allen politischen Ebenen durchgeführt, entstünde ein ziemlich monströses Gesellschaftswesen, in dem ein Chromosom garantiert überflüssig wäre: die Demokratie.
Der neue Drehtür-Effekt
Wer übrigens glaubt, die schlauen Konzernvertreter würden für ihr eingebrachtes Fachwissen von der Bundesregierung bezahlt, der irrt. Die “Leihbeamten” in den Ministerien bekommen ihr Monatsslär weiterhin von den Konzernen. Bereits dieser Umstand läßt tief blicken.
Es wäre naiv zu glauben, die Unternehmen überlassen ihre Besten ihrer Besten kostenlos dem Staat, gewissermaßen als karitative Leihgabe.Mit ihren bezahlten U-Booten erwerben die Unternehmensvorstände enormen Einfluss auf Regierungshandeln und jede Menge Insiderwissen. Und schließlich sind die Konzernvorstände ja auch nicht dem Allgemeinwohl, sondern ihren Aktionären verpflichtet.
Die Konzerne kaufen sich auf diese Weise ganz legal in staatliches Handeln ein. Allein zwischen 2004 und 2006 waren pro Jahr im Schnitt 100 Leihbeamte in den Ministerien – insgesamt rund 300. Auch der Einfluss dieser Lobbyisten auf die Arbeit der Bundesregierung war enorm: Mehr als 60 Prozent der externen Mitarbeiter vertraten die Bundesregierung bei Veranstaltungen und Verhandlungen. Über 60 Prozent erstellten Leitungsvorlagen für Topbeamte. Über 25 Prozent waren an Vergabeverfahren öffentlicher Aufträge beteiligt. Und über 20 Prozent der Leihbeamten haben sogar direkt an Gesetzen und Verordnungen formuliert.
Die rot-grüne Bundesregierung etablierte aber auch den sogenannten Drehtür-Effekt, also den fliegenden Wechsel von Führungspersonen zwischen Politik und Wirtschaft. Obwohl die jeweiligen Tätigkeitsfelder ehemaliger Politikerinnen und Politiker sich unterscheiden, haben sie eines gemeinsam: Sie schaffen für eine sehr begrenzte Interessengruppe einen besonderen, privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen. Das, was „Prinzip Drehtür“ genannt wird, ist in zwischen nicht mehr Ausnahme, sondern fast schon Regel. Bringen wir an dieser Stelle nur die bekanntesten Namen in Erinnerung: Matthias Berninger zu Mars, Hans Martin Buy zu Lehman Brothers, Wolfgang Clement zur Deutschen Industrie Service AG, Werner Müller zur RAG, Otto Schily zur Byometric systems AG, Caio Koch-Weser zur Deutschen Bank, Gerhard Schröder zu Gazprom und Joschka Fischer „engagiert sich“ für die unter anderem von RWE forcierte Nabucco-Pipeline. Diese Reihe ließe sich noch problemlos um viele Namen ergänzen.
Das outsourcing der Politik
Auch die nachfolgenden Regierungen hielten an der Verfilzung von Politik und Wirtschaft fest. Zwar saßen nicht mehr ganz so viele Lobbyisten direkt in den Ministerien wie unter Rot-Grün, doch stattdessen wurden immer mehr Gesetzesvorhaben ausgelagert. Allein im Jahr 2009 haben an 16 Gesetzen Externe mitgewirkt.
Dafür nur ein Beispiel: Die Rechtsanwaltskanzlei Linklaters schrieb für den damaligen Wirtschaftsminister Guttenberg ein Gesetz zur Staatsübernahme von maroden Banken. Vorher hatte Linklaters vor allem Banken beraten: etwa die Skandalbank HRE ausgerechnet bei der Übernahme der irischen Depfa , die Citygroup bei einer Milliarden-Kreditverbriefung, die HSH Nordbank, die Commerzbank und so weiter und so fort. Das Problem liegt auf der Hand: Kanzleien, die eigentlich die Wirtschaft beraten, die von den Gesetzen betroffen ist, sind kaum die richtigen Adressaten, um die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen. Nur Beamte sind dem Gemeinwohlverpflichtet. Sie sollen unabhängig zwischen den Interessen abwägen. Das ist ihr Vertrauenskapital.
Doch all dies geschieht heute weitgehend ohne öffentliche Resonanz. Auch dass die schwarz-rote Bundesregierung das Dienstrecht der Beamten änderte, um Lobbyisten aus der Wirtschaft den Zugang zu den Bundesministerien zu erleichtern, war keiner Zeitung und auch keinem Fernsehsender einen Bericht wert. Die Schwelle, die ein politischer Skandal heute überspringen muss, ist offensichtlich erheblich höher geworden. Das wiederum spricht für eine erheblich „tiefer gehängte“ politische Kultur.
All das zeigt: Die Verfilzung von Politik und Wirtschaft bedroht längst die Demokratie. Wird an der herrschenden Entwicklung der Lobbykräfte nichts geändert, kann daraus ganz schnell ein tiefgreifendes Legitimationsproblem werden: Letztlich stellt sich dann nämlich die Frage, wem unsere Volksvertreter wirklich verpflichtet sind – dem deutschen Volke oder dem großen Geld.
Gleichzeitig handeln sich die betroffenen Politiker ein massives Legalitätsproblem ein. Eines, bei dem es um Geld, Interessen und Einflussmöglichkeiten der Wirtschaft geht.
Fest steht allerdings: Für Lobbyismus gelten hierzulande noch viel zu laxe Regeln. Das fängt bereits bei den Spenden an. Um der Lobbykratie Abhilfe zu schaffen, sollten Spenden von Unternehmen generell verboten werden, so wie in Frankreich seit 1995. Auch fehlt in Deutschland ein Lobbyregister, anders als etwa in den USA. Dort müssen alle Lobbyisten unter Strafandrohung offen legen, für wen sie arbeiten und was sie dafür bekommen.
Schließlich müssen hierzulande endlich verbindliche Regelungen für ehemalige Regierungspolitiker, Spitzenbeamte und Wirtschaftsvertreter her. Die Forderung, mindestens drei Jahre zwischen Amt und Wirtschaftsjob vergehen zu lassen, ist bislang nur ein Appell.
Sicher lassen sich Manipulationen auch so niemals vollständig ausschließen. Aber zumindest allzu dreiste Verquickungen von Wirtschaft und Politik sollten schwerer werden, wenn die Öffentlichkeit weiß, wer sie wie zu manipulieren versucht. Die Politiker haben mehr zu gewinnen, als sie verlieren würden, wenn der gewaltige Einfluss der Wirtschaft der Vergangenheit angehörte. Sie gewännen wieder an Unabhängigkeit und am Ende stärkten sie damit die Demokratie. Die Wähler würden es ihnen danken.
Diesen Artikel veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von Kim Otto.
Der Artikel erschien in “Blätter für deutsche und internationale Politik” Ausg. 3/2010
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