Die Frage nach der Verfassungskonformität der SPD-Mitgliederbefragung zur Bildung der neuen Bundesregierung scheint nicht nur uns zu bewegen sondern auch eine ganze Reihe von Verfassungsrechtlern. Und sogar der designierte Vizekanzler scheint nicht wirklich frei von Zweifeln, wie sonst erklärt sich seine Dünnhäutigkeit bei der Reaktion auf entsprechende Fragen der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka? Auch wenn das imperative Mandat, das Frau Slomka anführte, in diesem Zusammenhang nicht so richtig greift, in einem hat sie unzweifehaft recht, es gibt deutliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Regierungsbildung durch die Mitgliederbefragung einer Partei.
Schauen wir noch einmal im Detail auf die Aussagen von Sigmar Gabriel und prüfen welche Verfassungsrechtler sich mit dem Thema beschäftigt haben. Das Interview – mit Anmerkungen – vollständig und im Wortlaut.
Jetzt gibt es viel zu lesen!
M.S.:
Guten Abend Herr Gabriel.
S.G.:
Guten Abend, grüß Sie
M.S.:
Sie haben jetzt mit vielen Parteimitgliedern, mit der wirklichen Basis heute diskutiert und gesprochen und wenn man da zugehört hat, hat man gemerkt da gibt’s schon auch doch einigen Gegenwind, also ein Selbstläufer wird das wohl nicht, diese Befragung, oder?
S.G.:
Also dann müssen Sie hier eben nicht zugehört haben, wenn Sie diese Meinung haben. Hier gab’s ne große Zustimmung zu dem was wir machen, aber das hat man vielleicht in Mainz nicht hören können.
M.S.:
Doch, ich hab da schon auch Mitglieder gehört, die gesagt haben „Ich kann dem nicht zustimmen“ – weil zum Beispiel der Mindestlohn nicht schnell genug kommt. Sie haben sehr lange darum werben müssen, dass Ihre Parteimitglieder verstehen, dass es eigentlich keine Alternative gibt, dass zum Beispiel eine Minderheitenregierung nicht in Frage kommt. Also wenn das alles so klar wäre, dann müssten Sie sich diese Mühe doch gar nicht geben da jetzt um Überzeugung zu kämpfen.
S.G.:
Also Erstens find ich es angemessen, dass man Mitgliedern so was erklärt. Und Zweitens, verstehen Sie, wenn die Gewerkschaft, wenn die IG Metall, Verdi, wenn der DGB den SPD-Mitgliedern empfiehlt, sie sollen zustimmen, dann scheint das ja nicht ganz blöd zu sein, was wir machen. Und wenn der FDP Vorsitzende Herr Lindner erklärt, der Koalitionsvertrag sei ein sozialdemokratisches Programm, dann scheinen wir ja nicht alles falsch gemacht zu haben. Ich mach mir überhaupt keine Sorgen. Natürlich gibt’s Fragen dazu, das ist doch logisch. Das wär ja auch komisch wenn’s keine gäbe. Aber jedenfalls hier in Hessen, hier sind fast 1000 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten versammelt, das war ne richtig fröhliche Veranstaltung und ich finde das ist richtig gut was wir machen, das wird die SPD zusammenführen, wir haben inzwischen zweieinhalbtausend Neueintritte, weil die Leute merken, bei uns kann man bei der Politik nicht nur mitdiskutieren sondern mitbestimmen, ich find das ist ne tolle Stimmung in der SPD.
M.S.:
Stichwort in der Politik mitbestimmen. Eine solche Mitgliederbefragung nach Koalitionsverhandlungen das ist ja ein Novum, das hat es noch nicht gegeben. Und es gibt durchaus verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, ob sich das eigentlich mit unserer parlamentarischen, repräsentativen Demokratie verträgt. Haben Sie eigentlich, als Sie sich für diese Basisentscheidung entschieden haben sich solche Gedanken, solche auch verfassungsrechtliche Gedanken, eigentlich gemacht?
S.G.:
Ne, weil’s ja auch Blödsinn ist. In der Verfassung stehen die Parteien drin. Sie sollen an der Willensbildung des deutschen Volkes teilnehmen. Es gibt ein Parteiengesetz, das zur innerparteilichen Demokratie verpflichtet. Das Parteiengesetz lässt grundsätzlich offen wie wir das machen und wieso soll eigentlich direkte Demokratie in einer Partei verboten sein? Den Verfassungsrechtler, der so was behauptet, den würde ich gerne mal kennenlernen.
M.S.:
Ne, das behaupten die auch gar nicht die Verfassungsrechtler sondern die weisen zum Beispiel –das ist ein Kritikpunkt – darauf hin, dass es in der Bundesrepublik Deutschland kein imperatives Mandat gibt. Dass die Abgeordneten lt. Artikel 38 des Grundgesetzes frei sind in ihrer Entscheidung. Aber die SPD –Basis schreibt ihren Abgeordneten eigentlich vor wie sie abzustimmen (haben)
S.G.:
Ne, das ist völlig falsch was Sie sagen. Sie schreibt dem SPD-Parteivorstand vor ob er einen Koalitionsvertrag am Ende mit der Union eingehen soll oder nicht. Die Angeordneten sind sowieso frei in ihrem Mandat und ich meine, was ist daran eigentlich auszusetzen, dass man mal die Menschen, die in einer Partei Mitglied sind, fragt, ob sie die Dinge, die die Führung macht, gut finden. Ich sag Ihnen, es wird was ganz anderes passieren: Was die SPD jetzt macht, das wird nicht nur gut gehen, sondern es wir Schule machen. Menschen die heute in die Politik gehen, einer Partei beitreten, die wollen doch nicht nur Beitrag zahlen, die wollen auch was zu sagen haben.
M.S.:
Das ist ganz interessant was Sie da sagen. Das heißt, wenn man in eine Partei eintritt, dann ist man sozusagen ein besserer Wähler, weil man nämlich noch ein zweites Mal abstimmen darf, als Nicht-Parteimitglieder. Es gibt 62 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland, nur 470.000 SPD-Parteimitglieder und die haben jetzt viel mehr Einfluss auf die Bundesregierung, auch auf diese Koalitionsverhandlungen, als „Normale“ , Nichtparteimitglieder. Ist das wirklich so ganz einwandfrei demokratisch und jeder, der das in Zweifel zieht redet Blödsinn?
S.G.:
Ja gut, wenn wir das so machen wie bei der CDU, wo nur der Vorstand entscheidet, oder bei der CSU, wo nicht mal ein Parteitag stattfindet, dann entscheiden ja noch weniger Menschen über das Schicksal der deutschen Demokratie. Seien Sie mir nicht böse, Frau Slomka, aber ich kann die Argumente nicht wirklich ernst nehmen. Die Wählerinnen und Wähler haben ein Parlament gewählt und in diesem Parlament müssen sich Mehrheiten bilden. Die Parteien sind durch Verfassung und durch Parteiengesetz darauf verpflichtet ihre Meinungsbildung in Parteien auf demokratischem Wege herbeizuführen. Und es ist keine bessere Demokratie in der Partei, wenn nur ein Vorstand entscheidet oder ein Parteitag sondern natürlich ist es besser, wenn die Mitglieder einbezogen werden und es ist nicht so dass die Wählerinnen und Wähler weniger Rechte haben. Wir haben ein Parlament gewählt und wie die Mehrheitsbildung da stattfindet entscheidet sich an Inhalten und an den Willensbildungsprozessen in den Parteien. Bei anderen Parteien, Frau Slomka, entscheiden kleine Gruppen, da entscheiden noch weniger Menschen über das Schicksal –in ihrer Argumentation – Deutschlands und bei uns tun das eben immerhin 470.000 Mitglieder. Ich weiß nicht warum das schlecht sein soll.
M.S.:
Ich dachte eigentlich, dass in Deutschland alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und dass das Wahlvolk entscheidet.
S.G.:
Ja, aber was macht denn dann die CDU? Wie hat denn der Wähler nun entschieden? Er hat entschieden Frau Merkel vertritt die stärkste Fraktion und die stärkste Partei, aber der Wähle hat nicht entschieden, dass sie die absolute Mehrheit hat. Und nun gibt es Koalitionsverhandlungen um zu klären, mit wem wird eine Mehrheit gebildet. Und in der CDU entscheiden darüber auch nicht die Wähler sondern der Parteivorstand der CDU der Parteivorstand der CSU. Das sind viel weniger Menschen als bei der SPD. Tun Sie mir einen Gefallen, lassen Sie uns den Quatsch beenden. Das hat doch mit der Wirklichkeit nichts zu tun.
M.S.:
Dieser Quatsch wird von sehr ernsthaften Verfassungsrechtlern diskutiert und dem kann man sich ja dann auch mal stellen.
S.G.:
Das mach ich doch gerade.
M.S.:
Ja, Sie sagen das ist Quatsch. Das ist jetzt ne besondere Form der Argumentation.
M.S.:
Aber wenn Sie Ihre Parteimitglieder so ernst nehmen…
S.G.:
Es wird ja nicht besser wenn wir uns gegenseitig so behandeln.
M.S.:
Ich behandel‘ Sie gar nicht schlecht. Ich stell hier die Fragen – hab ich mir ja nicht ausgedacht
S.G.:
Ich nehme die Mitglieder ernst, weil ich der Vorsitzende der SPD bin. Und ich habe argumentiert, warum ich das nicht für sehr tragfähig halte. Und ich kennen auch keinen Verfassungsrechtler der sich dieser Debatte öffentlich stellt.
M.S.:
Ja, Professor Degenhart schon und einige andere, die stehen ja auch heute in der Zeitung.
S.G.:
Frau Slomka das stimmt nicht was Sie sagen.
M.S.:
Doch – das können Sie nachlesen.
Da hat Frau Slomka recht. Herr Gabriel könnte die kritischen Fragen tatsächlich nachlesen.
Zum Beispiel das Interview mit dem Verfassungsrechtler Christoph Degenhart im Handelsblatt onlineDieser sagt dort unter anderem:„Im Grundgesetz, Artikel 38, heißt es: Die Abgeordneten sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. In Artikel 21 heißt es: Die Parteien wirken an der Willensbildung des Volkes mit. Diese Bestimmung wird sehr überinterpretiert, als würde den Parteien die Willensbildung allein zustehen. Wir haben eine repräsentative Demokratie und zwischengeschaltete Befragungen sind nicht vorgesehen. Die Abgeordneten handeln als Vertreter des ganzen Volkes. Dass das in der Praxis natürlich durch Fraktionsdisziplin und so weiter etwas anders ist, wissen wir alle. Aber: So eine direkte Einflussnahme der SPD-Basis auf die Abgeordneten, die scheint mir zu weit zu gehen.“
oder auch Martin Morlock, Rechtsprofessor an der Uni Düsseldorf im Deutschlandfunk, der sagt zur Konsequenz der SPD-Methodik:
„Das Parlament soll sich konstituieren und dann ohne Säumen die Pflichtausschüsse einrichten. Wie gesagt, wir haben ja schon etliche Zeit ins Land gehen lassen seit den Wahlen, das ist höchste Zeit. Sonst könnte man ja die Pflichtausschüsse umgehen, indem man die halbe Legislaturperiode abwartet. Das macht kein Gericht mit, dieses Argument zu sagen, es heißt nicht wann. Wenn der Bundestag arbeitet – und das soll er, sobald er gewählt ist. Wir haben ja die feste Regelung, dass mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages die Legitimation des alten entfallen ist. Deswegen haben wir auch nur eine geschäftsführende Regierung.“
oder Heinrich Oberreuter im mdr. Oberreuter ist Politologe und lehrt als Professor an der Uni Passau
„Es gibt dann keine Chancengleichheit und keine Instrumentengleichheit mehr zwischen privelegierten SPD-Mitgliedern und normalen Bürgern und Wählern und auch den Mitgliedern anderer Koalitionsparteien.“ Also CDU und CSU, die auf einem Kleinen Parteitag beziehungsweise vom Parteivorstand über den 185-seitigen Koalitionsvertrag abstimmen lassen.
S.G.:
Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in Interviews mit Sozialdemokraten nix anderes versuchen als uns das Wort im Mund umzudreh‘n. Kucken Sie ins Parteiengesetz…
M.S.:
Herr Gabriel Sie werden mir jetzt bitte nichts unterstellen.
S.G.:
Doch. Das machen Sie ja auch.
M.S.:
Die Kritik, die ich gerade genannt habe steht in den Zeitungen von Professoren, die darüber diskutieren und das ernst nehmen. Ist das eigentlich ok? Man muss das ja nicht so sehen aber man kann darüber zumindest diskutieren.
S.G.:
Naja aber das wird bedeuten, dass offensichtlich, das hab ich ja gesagt, eine kleine Gruppe, ein Vorstand einer Partei, entscheiden darf, und eine große Gruppe in einer Partei darf nicht entscheiden. Das ist ne komische Argumentation. Und deswegen find ich die Quatsch und wir müssen in der Frage ja nicht einer Meinung sein.
Und es gibt Stimmen für die Position Gabriels:
So Johannes Dietlein, Professor an der Uni Düsseldorf in Die Welt – Er sagt es gehe nicht um eine rechtliche Bindung, „sondern um eine politische Entscheidung, das Votum der Mitglieder zu berücksichtigen.“
oder Professor Julian Krüper von der Uni Bochum er sagt, ebenfalls in Die Welt,
„Nach dem Grundgesetz ist es Aufgabe der Parteien, an der politischen Willensbildung mitzuwirken“ und „Das bedeutet: auch an der auszuhandelnden Vorbereitung parlamentarischer Entscheidungen wie derKanzlerwahl.“
M.S.:
Ne überhaupt nicht – und es geht ja nicht um meine Meinung, ich trage ja auch Meinungen von anderen an Sie heran. Aber, wenn Sie Ihre SPD-Mitglieder so ernst nehmen, warum dürfen die eigentlich nicht auch über den Ressortzuschnitt und die Köpfe in den Ministerien entscheiden?
S.G.:
Weil die SPD-Mitglieder und zwar in ganz großer Zahl uns darum gebeten haben eine Sachentscheidung zu treffen und nicht über Personal. Ich respektiere, dass viele in den Medien sagen „wir wollen aber wissen, wer das was wird“ aber in diesem Fall wollen nun ausnahmsweise mal unsere Mitlieder in der Sache debattieren und nicht über Personal, und das respektiere ich. Mit wäre übrigens beides recht gewesen, aber ich respektiere die Auffassung meiner Mitglieder.
M.S.:
Herr Gabriel, danke für das Gespräch.
S.G.:
Bitte!
Ich muss sagen, ich war lange nicht auf der Seite, aber in den letzten Tagen lohnt es sich hier vorbeizuschauen. Mal Stimmen jenseits des mainstream zu lesen.
Für die Mühe das Gabriel-Slomka Gespräch mal aufzuschreiben, ist doch ein Danke zu sagen. Es ist noch was anderes so eine Diskussion auf der Zeile zu lesen.Und auch zu sehen, dass es tatsächlich eine Diskussion unter Rechtsprofessoren gibt, ist interessant. Aber was hilft das? Die Sache läuft, mit oder ohne Diskussion und Konsequenzen wird sie wohl keine haben, weil eigentlich nichts Konsequenzen hat. Weder von Klaeden, noch mangelhaftes Lobbyregister, noch sonst was.
Machen Sie weiter!