Das verkehrspolitische Desaster Kassel-Calden wird allmählich zu einem erklärenden Beispiel dafür, warum Bürger politikverdrossen oder, besser, Politikerverdrossen werden. Da heißt es auf der Internetseite des Hessischen Rundfunks am 30.10.2013: Calden – ein Missverständnis? Der Flughafen, dessen letzter Linienflug am Dienstag, 29.10.2013 Kassel-Calden verließ (und das, nach aktuellem Stand, für die Zeit bis zum 2. Mai 2014) , sei ohnehin nicht primär für den Linienverkehr gebaut worden. hr-online zitiert zunächst die Geschäftsführung der Flughafen GmbH Kassel wie folgt:
„Der Flughafen Kassel-Calden wurde primär nicht für die oben genannten Verkehre (Anmerkung der Redaktion: Linien- und Ferienflüge) gebaut, sondern auch insbesondere um die Sicherheit und Qualität für die Business Aviation und die Privatflugzeuge zu erhöhen.“
und anschließend den hessischen Finanzminister, der nach einer Sitzung des Aufsichtsrats geäußert hat, die Nutzbarkeit für Ferienflüge sei „nur ein Aspekt für die Ausbausentscheidung gewesen“.
Um enstehenden Unklarheiten vorzubeugen haben wir die Protokolle der Landtagssitzungen von 2008 bis 2011 stichprobenhaft auf das Stichwort „Kassel-Calden“ gesichtet. Das ist unser Ergebnis:
Über die Bedeutung des damals nur geplanten Flughafens Kassel-Calden sagte:
Michael Boddenberg, CDU am 16.8.2008, Plenarsitzung 17/13
„…Ich setze die Formulierung des Koalitionsvertrages von CDU und FDP dagegen. Wörtlich heißt es da: Wir werden den Verkehrslandeplatz Kassel-Calden auf der Grundlage des bereits vorliegenden Planfeststellungsbeschlusses zu einem leistungsfähigen Regionalflughafen für den Geschäftsreise-, Touristik- und Frachtverkehr ausbauen…“
Roland Koch, Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung am 18.2.2009
„…Ich setze die Formulierung des Koalitionsvertrages von CDU und FDP dagegen. Wörtlich heißt es da: Wir werden den Verkehrslandeplatz Kassel-Calden auf der Grundlage des bereits vorliegenden Planfeststellungsbeschlusses zu einem leistungsfähigen Regionalflughafen für den Geschäftsreise-, Touristik- und Frachtverkehr ausbauen…“
Dr. Walter Arnold, CDU am 5.3.2009, Plenarsitzung 18/5
„…Kassel-Calden wird mit dieser Koalition und dieser Landesregierung unter Führung des Ministerpräsidenten Roland Koch ein wichtiges Infrastrukturprojekt bekommen und eine Anbindung dieser Region an das internationale Flugverkehrsnetz. Für die CDU und die P istFD Kassel-Calden neben dem Flughafen Frankfurt eines der wichtigen Infrastrukturprojekte…“
und noch einmal Dr. Walter Arnold, am 29.4.2010, Plenarsitzung 18/43
„…Der Ausbau von Kassel-Calden zu einem leistungsfähigen Regionalflughafen ist ein bedeutendes Infrastrukturprojekt in Nordhessen. Wir stehen dazu, und wir werden alles tun, damit es auch umgesetzt wird…“
„…Es gibt eine ganze Reihe von mittelständischen Unternehmen, die sagen: Wir halten für unsere Entwicklung den Regionalflughafen für wichtig. (Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kassel ist dabei, zu einem Logistikdrehkreuz in Deutschland und in Europa zu werden. Dazu gehören auch diese Möglichkeiten. Wenn Sie sich anschauen, wie die Prognose für die nächsten Jahre ist, gerade auch zur Entwicklung des Frachtflugaufkommens, dann wird durchaus deutlich, dass dieser Regionalflughafen eine wichtige Entwicklungschance ist…“
Florian Rentsch, FDP am 7.9.2010, Plenarsitzung 18/52
„…Weil wir zunächst über Nordhessen sprechen: Ich glaube, auch wenn das Projekt immer sehr umstritten ist, dass der Flughafen Kassel-Calden volkswirtschaftlich für diese Region einen Vorteil bringen wird, (Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Ach du meine Güte!) weil ein Logistikstandort, zu dem sich Kassel immer mehr entwickelt – die gesamte Region, Bad Hersfeld genauso wie diese gesamte nordhessische Region -, mit dem zusätzlichen Mosaikstein eines Regionalflughafens, der sowohl für Cargo als auch für Passagiere interessant ist, einen richtigen Schritt tut, um dieses Bild abzurunden…“
Dirk Landau, CDU am 15.12.2011
„…Es ist im Übrigen nicht so, wie GRÜNE und LINKE gerne den Eindruck erwecken möchten, dass hier Ahnungslose in ein Fass ohne Boden investieren. Nein, es geht vielmehr um eine volkswirtschaftlich sinnvolle, ja notwendige Maßnahme. (Beifall bei der CDU und der FDP) Nordhessen gehört zu den am schlechtesten an den Luftverkehr angebundenen Regionen Deutschlands. Nun haben nicht alle Regionen entsprechende Voraussetzungen. Aber ich sage ganz klar, Nordhessen ist nicht der Bayerische Wald oder die Mecklenburgische Seenplatte. Kassel besitzt eine Industrietradition. Kassel entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem Logistik-Hub. Die regionale Wirtschaft hat einen entsprechenden Bedarf. Stadt und Regionen geben ein hinreichendes Passagieraufkommen her. Insofern macht der Flughafen an dieser Stelle Sinn…“
und, ebenfalls am 15.12.2011
„…Der Flughafen Kassel-Calden ist Nordhessens Startplatz in die Zukunft. Kassel, die dynamischste deutsche Großstadt – es ist schon gesagt worden -, braucht neben der Neuen Galerie, der Universität und Weltunternehmen auch den Anschluss an den nationalen und internationalen Luftverkehr, um weiterhin prosperieren zu können. Eine Diskussion wie die in den Jahren 1971 bis 1979, als es darum ging, ob der ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe sinnvoll oder verzichtbar sei, ist falsch. Der ICE-Bahnhof ist aus heutiger Sicht nicht mehr wegzudenken. Keiner will ihn missen. Gleiches wird aus künftiger Sicht für den Flughafen Kassel-Calden gelten…“
Noch einmal zur Erinnerung: Der zuständige Minister und die Geschäftsführung der Flughafen GmbH Kassel-Calden sagen heute, dass der Flughafen nicht in erster Linie für Ferien- und Linienflüge gebaut worden sei. Von Fracht reden sie schon gar nicht mehr.
In diesem Zusammenhang ist dann eine Aussage von Marjana Schott, Fraktion DieLinke, vom 13./14.9.2011 Plenarsitzung 18/83 erinnernswert:
„…Spannend ist allerdings, mit welchen Argumenten die EU-Kommission die Landesinvestition gebilligt hat. In der Stellungnahme der Kommission vom 25.02.2009 steht, dass der – ich zitiere – „Ausbau des Flughafens Kassel-Calden insbesondere im Hinblick auf die Überlastung des Flughafens Frankfurt zu sehen ist“. Weiter heißt es: Sollte der Flughafen Frankfurt Main seine Nachtflüge einstellen oder reduzieren müssen, so wäre eine ernste Luftfrachtkapazitätskrise in Deutschland die Folge. Der Regionalflughafen Kassel-Calden mit seinen vier genehmigten Flugbewegungen pro Nacht als Ausweichflughafen für Frankfurter Nachtflieger: Ist das die Idee der Landesregierung für den Fall, dass es in Frankfurt mit dem Nachtflugverbot ernst werden sollte? Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie müssen erklären, was die Wahrheit ist. Soll Kassel-Calden ein Ausweichflughafen für die Nachtflüge werden, die vom Frankfurter Flughafen verlegt werden müssen? Dann wurden die Bevölkerung und auch dieses Haus vorsätzlich getäuscht. Oder hat Brüssel – wissentlich oder unwissentlich – unter fragwürdigen Annahmen diese Landesinvestition gebilligt? Dann steht der öffentliche Nutzen des Flughafens infrage, und die EU-Kommission hätte ihre Zustimmung nicht geben dürfen…“
Die hier aufgeworfene Frage ist für uns interessant genug ihr mit einem weiteren Beitrag nachzugehen. Demnächst mehr bei diebuergerlobby.de
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