… und was die Gesellschaft von Politikern erwarten darf (?)
Bevor wir uns damit beschäftigen, ob und was wir (also Sie und wir), die Gesellschaft, von unseren Politikern erwarten dürfen, können, sollen – einige Gedanken zur aktuellen Diskussion um den Bundespräsidenten und seine Freunde und deren Gefälligkeiten.
Führt man sich vor Augen, was Christian Wulff in seiner Zeit als Ministerpräsident an Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten von Freunden erhalten hat, dann erinnert das stark an die “Gefälligkeiten”, die Lothar Späth als Ministerpräsident von Baden-Württemberg erwiesen wurden. Und der musste zurücktreten.
Aber nicht nur die Zeiten haben sich geändert, auch die Situationen sind anders. So ist z.B. nicht bekannt, ob Lothar Späth die Kosten seiner Reisen nachträglich noch selbst übernommen hat. Das macht ja unser aktueller Bundespräsident spätestens dann, wenn ein Vorfall bekannt wird.
Wie steht es aber um etwas anderes? Müssen Politiker nicht Vorbild sein, müssen sie nicht den Ansprüchen, die sie an andere stellen, auch selbst gerecht werden, und wie steht es da um unseren Bundespräsidenten?
Zur Frage Vorbild ja oder nein, hat Julian Nida-Rümelin, Philosoph und Mitglied im Vorstand der SPD, am 15.12.2011 im Deutschlandfunk ein Gespräch mit Jasper Barenberg geführt. Darin sagt er zu dieser Frage:
“Ja, die Auskunft war offenkundig korrekt, soweit man die Vorgänge da weiß. Christian Wulff ist selbst Anhänger der These, das hat er mehrfach betont, dass Politiker Vorbilder sein müssen, in welchem Amt auch immer, speziell auch im Amt des Bundespräsidenten. Ich bin nicht dieser Auffassung. Ich glaube, wir leben in einer Demokratie, die erwachsene Menschen voraussetzt, die selbst urteilsfähig sind, und das ist im Grunde eine vordemokratische Vorstellung. Aber ich bin sehr Anhänger der These, dass Politiker wahrhaftig agieren müssen. Die Öffentlichkeit, da ist die Situation sowieso generell sehr schwierig zu beurteilen. Die professionelle Politik hat gerade deswegen eine ganz besondere Verpflichtung, die Menschen nicht im Unklaren zu lassen. Und eine solche Auskunft – ich habe mal vor Jahren einen Artikel in der “Zeit” geschrieben und gesagt, man kann mit der Wahrheit lügen, man kann die Wahrheit sagen, etwas sagen, was nicht falsch ist, und trotzdem die Leute in die Irre führen, und das ist in diesem Fall ganz offenkundig geschehen.”
Daraufhin fragt Barenberg:
“Christian Wulff hat die Öffentlichkeit, hat das Parlament in die Irre geführt, und damit ist er kein wahrhaftiger Politiker?”
und Nida-Rümelin erwidert:
“Ja, das muss man so sagen. Das ist in dem Fall schon eine grobe Irreführung, weil die Debatte damals im niedersächsischen Landtag ja darum ging, ob es über die Freundschaft hinaus besondere Beziehungen gibt, die wirtschaftliche Dimension haben. Das ist rein juristisch so formuliert worden, dass in der Tat das jetzt offenbar kein Problem darstellt, aber das ist eine geschäftliche Beziehung zur Ehefrau, einen Kredit von 500.000 Euro aufzunehmen, und warum sagt man denn das nicht. Ich meine, wenn daran nichts Übles ist, kann man das doch auch sagen. Die Tatsache, dass kurz nach der Anfrage Christian Wulff dann doch diesen Kredit aufgelöst hat und zu einer baden-württembergischen Bank gegangen ist, die dem Staat Baden-Württemberg gehört, die eigentlich ganz andere Zuständigkeiten hat, das alles hat schon mindestens ein Geschmäckle.”
Aus der Sicht des Philosophen hat also Bundespräsident Wulff einen Mangel an Wahrhaftigkeit gezeigt und, so stellt Nida-Rümelin eingangs des Gesprächs fest, ausserdem selbst die Messlatte hoch gehängt, in dem er sagte, dass “Politiker Vorbilder sein müssen, in welchem Amt auch immer, speziell auch im Amt des Bundespräsidenten.” Auch wenn diese Aussage über den Bundespräsidenten Wulff von einem Philosophen stammt, bleibt sie doch ein Zitat aus zweiter Hand – prüfen wir also nach, welche Aussagen der Bundespräsident nachweislich zu Fragen von Vorbildrolle, Moralansprüchen und einwandfreiem Verhalten von Politikern (und anderen) tatsächlich gemacht hat.
Zitate des Bundespräsidenten zu Erwartungen, Werten, Ansprüchen:
Anlässlich der Eröffnung der 4. Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträger in Lindau am 24. August 2011:
”Auf Vertrauen kommt es an. Wir müssen ehrlich miteinander und mit uns selbst sein.”
Anlässlich der 7. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes am 3. Dezember 2011 in Berlin:
“Wie in anderen Bereichen des Lebens auch, darf das Materielle nicht zum Maßstab aller Dinge werden, darf nicht die Gier bestimmen. Maß und Mitte müssen gewahrt werden. Sonst verliert der Sport seinen Reiz.
Er droht zu verkommen zum Spektakel oder zu Schlimmerem. Deshalb ist es so wichtig, die Auswüchse zu bekämpfen, gegen betrügerische Verletzung der Regeln, gegen Doping und Korruption und gegen Gewalt in welcher Art auch immer vorzugehen. Anderenfalls zerstört der Sport seine eigenen Grundlagen.”
Anlässlich der Verabschiedung von Bundesrichtern am 16. November 2010 in Karlsruhe:
“Zum Wesensmerkmal eines Gentleman gehört auch ein Verhalten, das hohen ethisch-moralischen Standards genügt”
In einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung auf die Frage: “Verantwortung übernehmen – das klinge schon fast altmodisch. Ist es nicht die Charakterfrage in der Politik?”:
“Natürlich stehen Politiker besonders in der Verantwortung, weil sie Entscheidungen treffen, die sehr viele Bürgerinnen und Bürger ganz direkt betreffen. Insofern haben Sie Recht, wenn Sie von DER Charakterfrage in der Politik sprechen.”
In einer Rede zur Eröffnung des 3. ver.di – Bundeskongresses, Leipzig 17. September 2011:
“… Hunderttausende kommen zusammen, um einem Gefühl des Unwohlseins, der Ungerechtigkeit, der gefühlten oder tatsächlichen Unfairness Ausdruck zu verleihen. Ich will nicht, dass wir erst in diese Diskussion eintreten, wenn wir auch in Deutschland große Demonstrationen Jüngerer wie Älterer haben, von Menschen, die meinen, es ginge nicht fair und gerecht zu.”
Am 18.12.2011 hat Wulff die Kritik an seinem Privatkredit erneut zurückgewiesen. “Man muss selber wissen, was man macht und das muss man verantworten”, sagte er dem Sender MDR Info und ergänzte: “Das kann ich – und das ist das Entscheidende.” Das klingt nicht so als habe da einer auch nur im Entferntesten Bedenken oder Zweifel. Und an moralisch fordernde Äußerungen in der Vergangenheit erinnert er sich offensichtlich auch nicht. Von Schuld gar zu reden – kein Gedanke.
Dazu passt ein Kommentar von Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 18.12.2011: “Wulffs Fehler – Die Unschuld vom Land und ihre Schulden”. Vielleicht ist das hier gezeichnete Bild tatsächlich das richtige Bild vom Problem unseres Bundespräsidenten: “Es ist eben nicht nur das höchste, sondern womöglich auch das schwierigste Staatsamt in diesem Land. Weil es keine exakte Rollenbeschreibung, keine ausgefeilten Ausführungsbestimmungen gibt. Es braucht schon Kraft, Substanz und Mut, wenn einer sich nicht bloß mit Händeschütteln, Ordenandiebrustheften und Roteteppichebeschreiten zufrieden geben will. Christian Wulff hat sich die Rolle der Unschuld vom Lande ausgesucht.”
Als Zitat zum Schluss haben wir eine Aussage gefunden, die Wulff auf einer Matinee anlässlich des Welttags der Lehrer am 5. Oktober 2011 gemacht hat:
“Oft hat der Bundespräsident Mahner zu sein, auf Fehlentwicklungen unseres Gemeinwesens hinzuweisen, zu Wandel und Reform aufzurufen.”
Wie ist diese Aussage in Wulffs eigener Sache zu bewerten?
Mit den Worten von F.J. Wagner oder doch anders? Urteilen Sie selbst!
Aus unserer Sicht stellen sich aufgrund des “Rumgeeieres bei der Stellungnahme zu den Vorgängen” zwei große und alles überragende Fragen:
Kann Christian Wulff nach dieser großen öffentlichen Diskussion jemals wieder glaubwürdig als moralischer Wegweiser – wie ein Roman Herzog oder ein Richard von Weizsäcker dies konnten – für unsere Gesellschaft wirken?

Sollte Bundespräsident Wulff zurücktreten?

Und hier gibt’s noch mehr über Moral und Anstand aus dem Mund von Christian Wulff
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