Das erste Senioren-Pflegeheim für gebürtige Türken in Deutschland bietet „kultursensible“ Pflege an – leidet aber unter mangelnder Akzeptanz. Trotz einer Marketingstudie des börsennotierten Betreibers stellt sich heraus: Für türkische Migranten ist die Pflege ihrer Angehörigen Familiensache.
Ein Hauch von Orient
Der Gebetsraum – ausgelegt mit schweren Teppichen – ist nach Mekka ausgerichtet. Regelmäßig kommt der Imam. In der Küche herrscht ein türkischer Koch und garantiert dafür, dass die Speisen nach heimischem Geschmack und nach religiösen Vorgaben zubereitet werden. Türkisch ist Umgangssprache in „Türk Huzur Evi“, dem deutschlandweit ersten Senioren-Pflegeheim für gebürtige Türken, das in Berlin-Kreuzberg steht. Und wenn Großfamilien ihre Angehörigen besuchen, in Aufenthaltsräumen, Zimmern und Treppenaufgängen lagern, dann weht ein Hauch von Orient durch den nüchternen Zweckbau in Berlins Szene-Viertel.
Kultursensible Pflege
„Wir setzen hier eine Altenpflege um, die kulturspezifisch ausgerichtet ist“, sagt Einrichtungsleiterin Nejla Kaba-Retzlaff. Die gelernte Krankenschwester ist türkischer Herkunft und wohnt seit ihrem 10. Lebensjahr in Deutschland. „Kultursensibel“ soll die Pflege sein, so wurde es bei der Gründung vor ziemlich genau einem Jahr angekündigt.
Pflege im Heim ist „Schande“
Alle Elemente dieses Konzeptes hätten sich in der Praxis bewährt, zieht Geschäftsführer Harald Berghoff eine erste Bilanz. „Wir haben allerdings lernen müssen, dass es für türkische Familien überhaupt nicht selbstverständlich ist, ihre Eltern oder Großeltern in eine Pflegeeinrichtung zu schicken – auch solchen, die schon lange in Deutschland leben.“ Dies zu tun, gelte geradezu als Schande. Die Pflege wird traditionell im Schoße der Großfamilie geleistet – auch wenn das der Lebenspraxis von türkischen Migranten oft nicht mehr entspricht.
Ein Fünftel der Plätze vergeben
Das Ergebnis dieser Haltung der türkischen Migranten: Von den 151 angebotenen Plätzen sind gerade erst 30 besetzt. „Das geht viel langsamer als wir gedacht hatten“, räumt Berghoff ein. Bis Ende 2009 sollen 90 türkische Männer und Frauen moslemischen Glaubens im Türk Huzur Evi (was soviel bedeutet wie „Türkisches Haus zum Wohlfühlen“) logieren. Werbung und Mundpropaganda, so ist man überzeugt, werde das Projekt schon popularisieren.
Börsennotierter Träger
Dabei hatten die Betreiber Gründung des Heims durchaus Marketing-Studien betrieben. Hinter der Kreuzberger Neugründung steht nämlich die Marseille-Kliniken AG, der größte börsennotierte Pflegeheimbetreiber Deutschlands, der zurzeit mehr als 50 Senioreneinrichtungen unterhält. In Deutschland leben rund 350.000 Menschen im Rentenalter mit türkischem Hintergrund, so ergaben die Studien, davon 220.000 in Berlin. Da müsse es genug Potenzial für ein türkisches Pflegeheim geben.
Preisgünstige Versorgung
Die Patienten sollten dort nicht nur „kultursensibel“, sondern auch möglichst preisgünstig versorgt werden. Die türkischen Immigranten der ersten Generation, so die Überlegungen, hätten im Schnitt niedrigere Einkommen bezogen als deutsche Arbeitskollegen, dafür aber oft körperlich härtere Arbeit leisten müssen. Als Ergebnis gingen sie – oft vorzeitig – mit niedriger Rente in den Ruhestand und hätten weniger Geld für eine Pflegeeinrichtung zur Verfügung.
Zwei statt drei Sterne
Am Standard der Pflege wollte und konnte man nicht sparen, wohl aber am Komfort der Unterkunft. „Zwei Sterne“ statt „Drei Sterne“ – bezogen auf die bekannten Hotelkategorien – lautete die Parole. Ein ehemaliges Arbeiterwohnheim in Kreuzberg wurde als Standort gefunden, überwiegend einfache Zwei-Bett-Zimmer eingerichtet. Die Klienten zahlen nun im Schnitt 500 Euro weniger Eigenbeteiligung als in einer traditionellen Einrichtung. Als Partner, der bei Konzeption und Durchführung der „kultursensiblen“ Pflege helfen sollte, wurde die Türkische Gemeinde zu Berlin e.v. (TGB) gefunden, die sich mit 20 Prozent an der Trägergesellschaft beteiligte.
Probleme und Diskussionen
Nach der Eröffnung im Dezember 2006 mit zunächst nur sieben Patienten, tauchten größere und kleinere Probleme auf. So wurde es schwierig, ausreichend männliche Pfleger mit guten türkischen Sprachkenntnissen zu finden. Das musste gelöst werden, gehört doch die „gleichgeschlechtliche“ Pflege zum Angebot der Einrichtung, um besonderen religiös und kulturell geprägten Empfindlichkeiten Rechnung zu tragen. In die Diskussion geriet die türkische Partnerorganisation, sie gilt Kritikern als konservativ und integrationsfeindlich. Sei denn ein rein türkisches Pflegeheim tatsächlich ein Beitrag zur Integration, wurde kritisch gefragt. Celal Altun, ehemals Vorsitzender der Türkischen Gemeinde, hält entgegen: „Wie soll sich ein 70-jähriger Alzheimer-Patient, der nur türkisch spricht, denn noch integrieren?“
Turbulenzen „tangieren nicht“
Inzwischen gibt es – laut Presseberichten – heftige Turbulenzen in der TGB. Altun, der zu den Initiatoren des Heims zählte, ist nicht mehr Vorsitzender. Das tangiere die Arbeit überhaupt nicht, sagt Berghoff: „Wir halten uns aus allen politischen Diskussionen heraus, wir sollen ein professionelles Produkt anbieten, das den Menschen dient.“
Noch kein Geschäft
Geld verdienen werden die Aktionäre der Marseille AG mit diesem neuen Produkt aber vermutlich auf mittlere Sicht nicht. Rechnen würde sich die Einrichtungen für die Investoren ab etwa 120 Patienten. Ob diese Zahl tatsächlich im Jahr 2009 erreicht wird, ist bisher reine Spekulation. Pläne, ähnliche Einrichtungen im Ruhrgebiet und in Köln anzubieten, werden zurzeit auf jeden Fall nicht weiter verfolgt.
red/ors
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