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Lüge oder Wahrheit – die Qual der Wahl

Lügen sind heikel. Das liegt schon daran, dass Lügner in der öffentlichen Wahrnehmung keinen guten Ruf haben. Und wer den Arbeitgeber belügt, muss oft auch mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Andererseits wird regelmäßig die Unwahrheit gesagt – nicht nur, wenn das Gegenüber fragt, ob die neue Frisur gelungen ist. Schwindeln kann dann die sozialverträglichere Alternative sein. Die Grenzen zwischen der akzeptierten Unwahrheit und der knallharten Lüge, die auf kein Verständnis stößt, muss man vor allem auch in der Arbeitswelt kennen und sich daran halten.

„Lügen sind besser als ihr Ruf“

«Natürlich ist nicht jede Lüge gut. Aber Lügen sind insgesamt besser als ihr Ruf», sagt die Psychologin Claudia Mayer. Es kommt darauf an, wozu sie benutzt werden. Denn Lügen können Menschen verletzen, ihnen schaden, im Extremfall sogar bedrohlich werden, aber sie können all das auch verhindern. Viele Lügen werden sogar gezielt dazu eingesetzt, andere zu schützen – vor unangenehmen Wahrheiten zum Beispiel. «Man nennt das prosoziale Lügen», erläutert die Sachbuchautorin aus Hamburg. Statt dem Kollegen klar die Meinung über seinen Mundgeruch, seine nervigen Witze oder seinen grottigen Geschmack bei der Krawattenauswahl zu sagen, entscheidet sich die große Mehrzahl für Zurückhaltung. Ehrlich ist das nicht, aber sozial. Es hilft, Streit zu vermeiden und die Stimmung nicht zu trüben. Wer immer ehrlich ist, stößt andere auch häufig vor den Kopf.

Kein Freibrief für Unehrlichkeit

Solche Formen mangelnder Ehrlichkeit sind für den Zusammenhalt von Gruppen ausgesprochen wichtig. Kritik dezent zu verpacken, Komplimente zu machen, Gruppenmitglieder durch nicht hundertprozentig wahrheitsgemäße Aussagen zu schützen, steigere die «Gruppenkohäsion», erläutert der Psychologe Prof. Alfons Hamm von der Universität Greifswald. «Komplimente sind grundsätzlich nicht wahrheitsgebunden.»

Kein Freibrief für Lügner

Der Greifswalder Wissenschaftler warnt allerdings davor, allen Lügnern einen Freibrief auszustellen. «Zunächst einmal darf man den Begriff nicht verwässern», warnt Prof. Hamm. Wer auf eine Frage nicht vollständig seine tatsächliche Meinung offenbare, lüge damit noch nicht. Wer aber lügt, also mit voller Absicht die Unwahrheit sagt, um daraus Vorteile für sich zu ziehen, störe in der Regel das soziale Zusammenleben. Am Arbeitsplatz sei Lügen prinzipiell bedenklich: «Gruppen sind darauf angewiesen, dass sich die einzelnen Mitglieder ehrlich verhalten.»

Positive Selbstdarstellung contra Betrug

Andererseits sei Ehrlichkeit in vielen Situationen am Arbeitsplatz tatsächlich nicht gefragt, sagt Claudia Mayer: In Bewerbungsgesprächen zum Beispiel gehe es nicht darum, ein Bekenntnis zur Wahrheitsliebe abzulegen, sondern darum, sich selbst von seiner besten Seite zu zeigen. Doch auch hier gibt es Grenzen: Wer seinen Lebenslauf frisiert oder seine Noten schönt, hat das Spiel überreizt.

Ehrlichkeit nicht immer dumm

Es komme eben ganz aufs Motiv an, sagt Christine Öttl, Karriereberaterin aus München: «Es ist etwas ganz anderes, ob man lügt um zu betrügen oder um eine Situation zu entschärfen.» Aber auch das fast geflügelte Wort «Der Ehrliche ist immer der Dumme» hält Öttl in der Arbeitswelt für falsch: «Ehrlich zu sein und damit berechenbar, das kann einem auch wahnsinnig viele Sympathien eintragen.» Wer es mit der Wahrheit nicht genau nimmt, schadet dem eigenen Ruf und dann unter Umständen auch der Karriere.

Drei Fragen – drei Antworten

Die Hamburger Psychologin und Sachbuchautorin Claudia Mayer plädiert für die richtige Balance beim Lügen. Drei Fragen zu ihrem Standpunkt:

Warum sind Lügen lobenswert?

Claudia Mayer: Lügen sind per se weder gut noch schlecht. Die Wahrheit um jeden Preis zu sagen, kann genauso schlimme Folgen haben wie erfundene Geschichten aufzutischen. Wichtig ist, die Balance nicht zu verlieren. Wer durch Unehrlichkeit seine Firma schädigt, weil er die Reisekostenabrechnung manipuliert, darf nicht mit Verständnis rechnen. Aber wer Interesse heuchelt, obwohl ihn das Gespräch mit dem Vorgesetzten langweilt, macht damit nichts verkehrt.

Hilft Lügen der Karriere?

Claudia Mayer: Jedenfalls muss man es können, wenn man Karriere machen will. Lügen ist eine Kommunikationstechnik. Man muss sie allerdings virtuos beherrschen und zum Beispiel wissen, wann man im richtigen Moment das falsche Lächeln aufsetzt. Aber man muss auch ein Gespür dafür haben, wann es wichtig ist, die Wahrheit zu sagen.

Kann man überhaupt völlig ehrlich sein?

Claudia Mayer: Wir alle lügen jeden Tag. Es fängt damit an, dass man die Nachbarin trifft und denkt «die dumme Kuh», aber man plaudert doch nett mit ihr. Und man geht mit Kollegen in die Kneipe und tut so, als würde man es toll finden, dabei wäre man viel lieber zu Hause. Es gibt sehr viele verschiedene Varianten zu lügen.

red/dpa