Wikipedia erklärt das bedingungslose Grundeinkommen als „ein sozialpolitisches Finanztransfermodell, nach dem jeder Bürger unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage vom Staat eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche finanzielle Zuwendung erhält, für die keine Gegenleistung erbracht werden muss (Transferleistung).“ Sie wäre bereits ohne weitere Einkommen oder bedingte Sozialhilfe existenzsichernd.
Das nachfolgende Interview mit Götz Werner, einem der profiliertesten Befürworter des Grundeinkommens, wurde von Georg Meck geführt und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 15.07.2010 unter der Überschrift “1000 Euro machen jeden Menschen frei” veröffentlicht. Unser Nachdruck erfolgt mit Genehmigung der FAZ. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.
Teil 3: „Der Mensch hat immer die Tendenz über sich hinaus zu wachsen.“
FAS: Nicht jeder hat so hehre Ziele.
G.W.: Die sind gar nicht nötig. Die Menschen können skurrile Motive haben, und sei es nur, zu den 1000 Euro etwas dazuzuverdienen, um sich eines Tages den Ferrari leisten zu können. Aber stellen Sie sich dieses erhabene Gefühl vor: Sie laufen durch die Straßen und sehen nur Menschen, die etwas tun, weil sie das aus eigenen Stücken wollen.
FAS: Trotzdem: Mit Ihrem Modell wird das Land zum großen Volksheim, der Staat sorgt für alle, niemand muss mehr etwas leisten.
G.W.: Nein, im Gegenteil: Gerade durch das Grundeinkommen entsteht Leistungsvermögen. Wenn ich mir keine Sorgen um meine Existenz machen muss, kann ich mich an neue Ideen wagen. Wir beide könnten sagen: Wir versuchen uns als Musiker oder als IT-Start-up, das Grundeinkommen gibt uns die Freiheit, das auszuprobieren. So schaffen wir viel mehr Risikobereitschaft, viel mehr Unternehmertum.
FAS: Sie beschwören die kreativen Kräfte, die ein Grundeinkommen freisetzt: Glauben Sie wirklich, aus den Deutschen wird ein Volk von Hölderlins, die Lyrik fabrizieren?
G.W.: Wenn der Weltmarkt für Gedichte so groß ist, könnten wir auch davon in Saus und Braus leben. Wenn der Weltmarkt für IT-Innovationen wächst, wird das zur Grundlage.
FAS: Im Moment sieht es so aus, als zahle die Welt eher für deutsche Autos und Maschinen.
G.W.: Auch die S-Klasse muss mit viel Kreativität geschaffen werden.
FAS: Was aber wird aus den dreckigen und langweiligen Jobs? Bleibt diese Arbeit liegen, wenn jeder Träumen hinterherjagt?
G.W.: Eine Gesellschaft hat immer drei Möglichkeiten, wenn sie will, dass Leistung generiert wird: Entweder Sie gestalten den Arbeitsplatz so, dass er attraktiv wird…
FAS: Sie zahlen höhere Löhne.
G.W.: Ja, oder Sie automatisieren. Wenn beides nicht klappt, bleibt nur eines: die Arbeit selbst zu machen. Wenn Sie Menschen zu Arbeiten zwingen, werden sie die Sache nicht gut machen.
FAS: Sie gehen von einem hoffnungsvollen Menschenbild aus: Jeder hat eine Idee, in der er sich verwirklichen will.
G.W. Ja, unbedingt. Der Mensch hat immer die Tendenz, über sich hinauswachsen zu wollen. Diese Initiativkräfte wecken wir mit dem Grundeinkommen.
FAS: Was machen wir mit Leuten, die nicht mehr wollen als vor dem Fernseher die Füße hochlegen?
G.W.: Diese Menschen brauchen Sozialarbeit. Wer nichts mit sich anzufangen weiß, der ist krank.
FAS: Und von Sozialpädagogen zu heilen?
G.W.: Zumindest zu behandeln. Psychisch Kranke sind hilfsbedürftig wie Menschen, die nach einem Unfall querschnittgelähmt sind. Sie fallen auch der Fürsorge der Gemeinschaft anheim.
FAS: Es ist doch ein Unterschied, ob jemand krank und arbeitsunfähig ist oder schlicht faul.
G.W.: Faulheit ist auch eine Krankheit. Selbst wenn nicht: Niemand kann einfach sagen: Der soll verhungern, weil er faul ist.
Lesen Sie morgen Teil 4: „In Amerika ist es eine Schande reich zu sterben.“
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Das bedingungslose Grundeinkommen; Modell für eine zufriedenere Gesellschaft Teil 1; Teil 2;