0 Denglish – Bauen an den Babel-Towers

Nichts ist mehr wie es war. Der Frühling stellt sich im Winter ein, der Lenz findet gar nicht statt, weil sich in unseren Breitengraden nach dem letzten Kälteeinbruch tropische Temperaturen einstellen. Auch unsere Sprache verkommt immer mehr, weil sie bis zur Unkenntlichkeit verhunzt wird. Presse und Werbung machen es vor und wir übernehmen die Schlampereien – bewusst oder unbewusst.

Und ausgerechnet die größte deutsche Boulevardzeitung – die mit den vielen Bildern und den kurzen Sätzen – maßt sich (sogar in einer Serie!) eine Fachsimpelei an, wie „unser Deutsch gedemütigt“ wird, und empfiehlt, häufiger ein Buch von Goethe in die Hand zu nehmen. Wir sind Papst? Aber doch keine Sprachpäpste!

Polit-Verschwiemelung

„Klartext reden“ ist zwar eine beliebte Redewendung, aber immer weniger Menschen können Klartext reden. Unsere Politiker bilden „Jamaica“-Koalitionen und geben sich überhaupt die größte Mühe, mit vielen Worten möglichst wenig zu sagen – so wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass das, was wir uns vorgenommen haben, in seiner Machbarkeit auch umsetzbar ist.“ Das könnte man als Musterbeispiel für Sprachmissbrauch durch Sinnentleerung in die Schulbücher aufnehmen.

Deutsche Worte outgesourct

Viele von uns – und nicht nur die Gralshüter der Duden-Redaktion – stört das kopflose Übernehmen von Wörtern aus dem angelsächsischen Raum, von „supercool“ über „Sound“ bis zum „Quicky“. Bereits jedes vierte der meist gebrauchten Worte kommt aus dem US-amerikanischen Sprachraum. Natürlich unterliegt die Sprache immer neuen Trends. Schliesslich war und ist sie Spiegel der jeweiligen Zeit. Grenzenlose Mobilität und das Internet bescheren uns mit neuen Erkenntnissen und neuen Technologien selbstverständlich auch neue Ausdrücke. Oft ersetzen die modischen Anglizismen allerdings lediglich deutsche Worte. Wo es früher „Ausverkauf“ gab, gibt es heute „Sale“. Was einmal ein „Tanzlokal“ war, wurde zur Disco und heißt heute „Club“. Was hätten unsere Großeltern mit den Worten „Dispatcher“ oder „Outsourcing“ angefangen?
Probleme zwischen Sender und Empfänger

Aber auch unserer Generation fällt es zuweilen schwer, eine Gebrauchsanweisung zu verstehen: „Der Receiver erzeugt die Frequenz, auf die er sich einstellen muss, durch Subtraktion der Oszillatorfrequenz von der zu jedem Programm abgespeicherten Satelliten-Sendefrequenz. Sie müssen nur die jeweiligen Oszillatorfrequenzen einstellen, die Ihr Empfangssystem benutzt. Vergewissern Sie sich deshalb vor einer Umstellung der LO-Frequenz, ob dies überhaupt erforderlich ist.“ Alles klar?

Vor der eigenen Tür kehren

Es sind ja nicht nur solche aus einer Fremdsprache übersetzten Monstersätze. Dem verhunzten gesprochenen wie geschriebenen Sprachstil begegnen wir tagtäglich auf Schritt und Tritt. Er ist ein Teil unseres Alltags. Kein Wunder, wenn wir zuweilen selbst vor unseren Kinder und Enkelkindern auf’m Schlauch stehen. Was die „Kids“ heute „urgeil“ finden, fanden wir früher „wahnsinnig toll“. Doch wir haben uns mitnichten den Kopf darüber zerbrochen, ob wir möglicherweise zu wenig Respekt vor den Geisteskranken haben.

Sprache wie Kaugummi

Der Sprachkritiker und renommierte Sachbuchautor Wolf Schneider bescheinigt: „Es geht bergab mit der deutschen Sprache, machen wir uns nichts vor“. Und ergänzt: „Viele 17-Jährige betreiben das Sprechen wie ein Nebenprodukt des Kaugummikauens“. Da kann ja nichts Verständliches herauskommen.

Zurück zum Mittelhochdeutschen!

Fest steht aber auch: Die Hüter der deutschen Sprache haben den Schülern bei der Orthographie ein denkbar schlechtes Vorbild gegeben. Statt einer mutigen Rechtschreibreform – beispielsweise bei der Modernisierung der komplizierten Regeln der Groß- und Kleinschreibung – wurde das Reförmchen so lange zerredet und verwässert, bis sich jetzt überhaupt niemand mehr im Regelwerk auskennt, das seine Ausnahmen bestätigen. Vielleicht sollten wir deshalb lieber gleich vom aktuellen „Denglish“ zum Mittelhochdeutschen zurückkehren.

Leseempfehlung:

Wolf Schneider
„Deutsch! Das Handbuch für attraktive Texte
Rowohlt -Verlag

/eg

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