Auch wenn sich der Rauch über Hamburg langsam verzieht, die Diskussionen rund um G20 und die damit verbundenen Proteste und deren Auswüchse gehen weiter und die unterschiedlichen Positionen sind immer noch sehr verhärtet. Das dürfte nicht nur am beginnenden Wahlkampf liegen, sondern auch an einer mangelnden Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Wir haben den Eindruck, dass diese Bereitschaft bei allen Beteiligten fehlt. Bei den Organisatoren der Demonstrationen, bei der Polizei, bei den Politikern und auch bei einigen Medien.
Angefangen von der Diskussion um die Frage, ob es linke Gewalt gibt oder nicht, über die Frage, ob es Gewalt gab, die von der Polizei ausging, bis zur Frage, ob Olaf Scholz als Oberbürgermeister zurücktreten muss reichen die emotional geführten Auseinandersetzungen. Und auch eine grundsätzliche Frage wird kontrovers diskutiert: „Dürfen Veranstaltungen mit einem „Krawallpotential“ wie ein G20-Gipfel es enthält überhaupt in einer Großstadt abgehalten werden?“
Zu all diesen Fragen suchen wir immer noch Antworten und sammeln kompetente Stimmen. Bis dahin möchten wir aber eine Feststellung schon jetzt treffen:
Protest muss sein!
Wir meinen, dass es gilt – neben der Analyse der Hamburger Ereignisse (und der Festlegung erforderlicher Konsequenzen) – zu überlegen, wie Protest sinnvoller und langfristig wirkungsvoller gestaltet werden kann. Dazu fanden wir einen nachdenkenswerten Leserbrief in der Frankfurter Rundschau vom 19. Juli.
Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers Klaus Philipp Mertens veröffentlichen wir diesen im Wortlaut.
Erhebliches Veränderungspotenzial
Protest ist ein legitimes Mittel, um auch in demokratischen Gesellschaften auf offenkundige Missstände hinzuweisen. Doch Appelle an die Vernunft und die Verantwortung der Mächtigen finden in Staaten wie China, Russland, der Türkei und den USA kaum Verständnis. Die Regierungen dieser Länder repräsentieren zwar mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, doch diese ist kaum dazu in der Lage, ihre Stimme vernehmbar zu erheben. Angesichts dieser Realitäten kann man sich mit Recht fragen, was Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in Hamburg eigentlich nützen.
Vermutlich hoffen viele derer, die auf die Straße gehen, auf einen allmählichen Bewusstseinsprozess, der nicht zuletzt durch ihre Aktionen in Gang kommt. Wäre es nicht erfolgversprechender, nach dem Humanitätsideal der deutschen Klassik zu verfahren und darauf zu setzen, dass sich das gute Beispiel durchsetzt? Goethe hat das in seinem Stück „Iphigenie auf Taurus“ zumindest für möglich gehalten. Also Proteste zu inszenieren, die einen exemplarischen Charakter besitzen und über eine große Ausstrahlungskraft verfügen.
Doch wo wäre anzusetzen? Vermutlich vor der eigenen Haustür! Denn die Verursacher der weltweiten Klimakatastrophe, die Finanzheuschrecken und die asozialen Globalisierer verfügen auch in Deutschland über Niederlassungen, manche sind gar Eigengewächse dieses Landes. Sollen sie ungestört weitermachen dürfen?
Zwar vermögen die Montagsdemonstrationen auf dem Frankfurter Flughafen bislang nicht, diese Umweltvernichtungsmaschinerie entscheidend zu schwächen. Aber die sich ausbreitende Stimmung gegen den Fluglärm hat dazu beigetragen, dass die CDU die Oberbürgermeisterwahl 2012 verlor. Und die ökologischen Kleider der Grünen in Hessen sind seither so transparent geworden, dass Machtstreben und Selbstgerechtigkeit unschwer zu erkennen sind. Regelmäßige und phantasievolle Demonstrationen vor Großbanken, Automobilunternehmen, Immobiliengesellschaften und Luxushochhäusern besitzen nach meiner Einschätzung ein erheblich größeres Veränderungspotenzial als kluge Sprüche gegen Donald Trump, der diese ohnehin nicht begreifen wird.
Klaus Philipp Mertens, Frankfurt
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