Wenn man sich mit der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beschäftigt, dann wäre das passendere Datum für ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin der 1. April gewesen und nicht der 1. Februar 2016. Denn das Urteil, das der Berliner Arbeitsrichter Michael Ernst am 1. Februar sprach, scheint aus einer anderen Zeit zu kommen. Der Kölner Stadt-Anzeiger titelte noch am 31. Januar „Richtungsweisendes Urteil – ZDF-Reporterin klagt für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit“ und drückte damit eine Erwartung aus, die wohl von vielen Menschen geteilt wurde.
Aber dann sprach Richter Ernst sein Urteil. Ein Urteil, das bestätigt wie weit wir in Deutschland noch von wirklicher Gleichbehandlung entfernt sind. Ein Richter „von gestern“ urteilt zu „Gleichberechtigung heute„.
Die Urteilsbegründung ist für uns in vollständiger noch nicht einsehbar, auf der Internetseite beck-online fanden wir aber den folgenden Text:
„ArbG Berlin verneint Entschädigungsanspruch einer ZDF-Reporterin wegen Geschlechterdiskriminierung
Eine Reporterin des ZDF, die geltend gemacht hatte, sie erhalte allein wegen ihres Geschlechts eine geringere Vergütung als ihre männlichen Kollegen, ist vor dem Arbeitsgericht Berlin mit ihrer Klage gescheitert. Das ZDF sei nicht zur Auskunft über die Vergütung ihrer Kollegen und zur Zahlung einer Entschädigung wegen einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung verpflichtet, entschied das Gericht. Es fehle schon an einer gesetzlichen Grundlage, so die Begründung (Az.: 56 Ca 5356/15, nicht rechtskräftig).Keine Anhaltspunkte für behauptete Ungleichbehandlung
Auch habe die Klägerin keine Tatsachen vorgetragen, die auf eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bei der Vergütung von Männern und Frauen hindeuteten, erläuterte das Gericht. Die von ihr benannten Mitarbeiter seien nicht vergleichbar, weil sie anders als die Klägerin beschäftigt würden; weitere Anhaltspunkte für die behauptete Ungleichbehandlung seien nicht gegeben, befand das ArbG. Das Urteil ist bislang nicht rechtskräftig.“
Aus der Presse und, dankenswerterweise, auch durch Unterstützung des Anwalts der Journalistin, Hans-Georg Kluge, können wir einige Details zum bemerkenswerten Prozessverlauf und zum fortschrittlichen Rechtsverständnis des Richters Michael Ernst darstellen.
Dabei möchten wir noch einmal an die eindrucksvollen Formulierungen in den Leitlinien des ZDF erinnern, vor deren Hintergrund ja das ganze Verfahren stattfindet.
Zur Geschichte der Auseinandersetzung zwischen dem ZDF und der Journalistin Birte Meier (Quelle: Presemitteilung der Kanzlei Roettgen-Kluge):
„Über die Klage unserer Mandantin wegen Entgeltdiskriminierung gegen das Zweite Deutsche Fernsehen gab es mehrere Berichte. Dazu einige Hintergründe und Fakten zu der Klage, die bei der öffentlichen Verhandlung am 7. Dezember 2016 zur Sprache kamen und seither in unterschiedlichen, nicht immer korrekten Varianten publiziert wurden:“
„Die Klägerin ist seit nunmehr fast zehn Jahren als „fest-freie“ Redakteurin im Politikmagazin Frontal21 beschäftigt. Jahrelang versuchte sie, ein höheres Honorar im Einvernehmen mit dem ZDF zu erreichen. Ihr wurde erklärt, ihre Vergütung – ebenso wie die besser verdienender Männer – richte sich nach festen Kriterien, unter anderem Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit. Dann erfuhr sie, dass auch männliche Kollegen mit weniger Berufserfahrung oder Betriebszugehörigkeit mehr verdienten.“
und weiter
„Unsere Mandantin reichte eine Beschwerde nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bei ihrem Arbeitgeber ein und dann, im April 2015, Klage beim Arbeitsgericht Berlin.“
Und mit der Klage betrat der Arbeitsrichter Michael Ernst die Bühne. >
Ein Richter, der gleich zu Beginn der Verhandlung bemerkte, dass er gar nicht wisse, wie man die Gleichheit oder Gleichwertigkeit von Tätigkeiten feststellen könnte. Kompetenzmangel oder verzichtbares Detail? Wie auch immer das Urteil lautet, es hinderte den Richter nicht daran die Bestellung eines Sachverständigen zu verweigern. Und das, obwohl die Antidiskriminierungsstelle des Bundes quasi „vor der Tür“ des Gerichts liegt.
Zu Recht fragen sich die Anwälte
“ …wie Frauen jemals ihren auch von der Verfassung garantierten Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchsetzen sollen, wenn ein Arbeitsrichter sich weigert zu prüfen, ob eine vergleichbare Tätigkeit vorliegt.“
Und noch ein Beleg für die besondere Sichtweise des Richters (oder seine mangelnde Bereitschaft zum Umdenken)
„Am Ende des Kammertermins legte der Prozessvertreter des ZDF der Klägerin nahe, das Haus zu verlassen. Der Vorsitzende Richter bekräftigte ihn dabei und erklärte, dass in 90% der Arbeitsrechtsfälle am Ende ein solcher Vergleich stehe, unabhängig davon, ob ein Kläger oder eine Klägerin Recht habe. Das gesetzliche Maßregelungsverbot, das Frauen, die wegen Diskriminierung klagen, vor daraus entstehenden Nachteilen einen gesetzlichen Schutz garantiert, kannte er offenbar nicht.“
Im September wurde die Klage auf Entgeltdiskriminierung zu einer Klage auf Festanstellung erweitert.
Das mehrfache Verschieben von Terminen durch das Gericht, aber auch auf Wunsch des ZDF, hat zu der bemerkenswerten Länge des Verfahrens geführt.
Den Termin vom 1. Februar 2016 eröffnete Richter Ernst mit der Bemerkung „Der Baum ist tot“ und „Die Arbeitsfläche hier ist schon fast zu klein.“ und „Ich weiß aber nicht, ob ich alles verstanden habe.“ (Quelle: Berliner Zeitung und Kölner Stadtanzeiger). Damit wollte (vermutlich) sein Missfallen über den Umfang der Klageschrift zum Ausdruck bringen. Und wieder weigerte er sich eine Beweisaufnahme durchzuführen.
Die taz berichtet zum Prozessablauf:
„Um 8.50 Uhr beugt sich der Arbeitsrichter Michael Ernst über ein Mikro vor ihm auf dem Tisch und macht eine Durchsage für das gesamte Gebäude. „Im Fall Meier gegen das ZDF werden Beteiligte in den Saal 513 gebeten.“
und weiter
„Fünf Minuten später verliest Richter Ernst das Urteil: Das Gericht weist die Klage der Reporterin des Magazins „Frontal 21“ ab. „
Weitere und wie wir meinen ebenfalls bemerkenswerte Zitate liefert Anwalt Kluge:
Auf die Frage der Klägerin, warum Männer mit weniger Berufserfahrung mehr verdienen:
„Weil die Kollegen besser verhandelt haben? Das nennt man Kapitalismus.“
Einen Grund für die Schlechterbezahlung von Frauen sah Richter Engel dann noch in
„mögliche(n) Schwangerschaften als eine legitime Ursache für die Schlechterbezahlung von Frauen“
Interessant auch folgende Aussagen des Richters, die der Kölner Stadtanzeiger zitiert, als es um das bestehende Europarecht zum Thema geht:
„Wo bleibt da die Vertragsfreiheit?“
und
„Wir haben ja ein Grundgesetz. Europarecht brauchen wir nicht.“
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist eine von Politikern und Politikerinnen regelmäßig vorgebrachte Forderung. Mit dem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit soll nun das sichergestellt werden, was Birte Meier seit mehreren Jahren vom ZDF fordert „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
„Legitimation politischer Macht ist nur möglich, wenn politische Macht thematisiert und gesellschaftlich diskutiert wird. Diese Legitimationsfunktion sichern überwiegend die öffentlich-rechtlichen Anbieter. Sie berichten über politische, institutionelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse und Vorgänge.“
{ 0 Kommentare... }