Einen Teil der Überschrift zu diesem Artikel haben wir der Frankfurter Rundschau vom 12. November 2012 entnommen. Unter der Überschrift „Braune Gedanken breiten sich aus“ berichtete die FR damals über eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Bei der Präsentation des Ergebnis sagte Elmar Brähler, einer der Mitautoren der Studie:
„Das macht uns wirklich Sorgen“, während hinter ihm ein Balkendiagramm auf die Leinwand geworfen wird. Der Trend ist deutlich: Rechtsextremes Gedankengut ist in Deutschland auf dem Vormarsch – vor allem in Ostdeutschland.
Und wie ein Vorgriff auf die Zukunft erscheint die folgende Aussage:
„Als Hauptursache sehen die Autoren die weiterhin vorhandene soziale und ökonomische Abkopplung weiter Teile Ostdeutschlands. Aus dem Gefühl des Abgehängt-Seins und der damit verbundenen Abstiegsangst, erwachse die Ablehnung gegenüber dem vermeintlich Fremden. Dies mache deutlich, dass es sich im Kern nicht um ein spezifisch ostdeutsches Phänomen handele. „Ich bin mir sicher, dass wir in strukturschwachen Regionen im Westen, ganz ähnliche Ergebnisse bekommen würden“, so Oliver Decker. Ein weiteres Problem sei, dass die politische Debatte über soziale und ökonomische Fragen zusehends „ethnisiert“ werde.“
Wie bedrückend real diese Einschätzung war, das zeigt nicht zuletzt das schreckliche Geschehen in Köln am vergangenen Samstag.
Ist Deutschland wirklich auf dem Weg nach rechts? Sind wir wirklich schon so weit, dass die Reisewarnung der kanadischen Behörden zu recht erfolgt? Sind die Rechtspopulisten tatsächlich so im Aufwind, weil es in „bürgerlichen Kreisen“ so etwas gibt wie „klammheimliche Freude“ über das Erstarken der neuen Rechten?
Nach dem Anschlag auf Henriette Reker, die Bürgermeisterkandidatin von Köln (und auf ihre Ream-Mitglieder), muss die Antwort auf die Frage „Wer kann Opfer rechtsextremer Gewalt werden?“ lauten: „Jeder“.
Hat sich „Rechtsextremismus“ für einige bis vorgestern noch so angehört, als wäre das etwas, das weit rechts von uns ist, weit weg – jetzt müssen wissen wir: Es ist de facto mitten unter uns.
Es gilt also schnellstmöglich die offensichtlichen Schwachstellen bei Ahndung, Verhinderung von und Vorbeugung vor rechtsextremer Gewalt – zu beheben. Es kann nicht länger hingenommen werden, dass offizielle Statistiken nicht wirklich aussagkräftig sind was rechte Gewalttaten angeht.
Dazu Simone Rafael, Journalistin, Mitglied des Teams der Amadeu-Antonio-Stiftung und Chefradakteurin von Netz-gegen-Nazis.de:
„Es gibt Zahlen über Todesopfer, das sind aktuell 182 Todesopfer seit 1990, Todesopfer rassischtischer oder rechtsextremer Gewalt. Die offizielle Statistik dazu beispielsweise kommt auf 63 Todesopfer – was eine ziemlich große Diskrepanz ist.
Auf der anderen Seite muss man fairneßhalber beispielsweise sagen, dass die Todesopfer der NSU,die der Nationalsozialistischen Untergrund Terrorzelle, die jetzt in den 182 Todesopfern dabei sind, die hatten wir bis zur Aufdeckung der NSU beispielsweise selber auch nicht auf dem Schirm. Also das heißt, das ist das beste Beispiel dafür, dass die Dunkelziffer was diese Todesopfer angeht extrem hoch ist. Also selbst bei den Initiativen die zählen oder bei den Opferberatungsstellen, weil nicht immer die Motivation erkannt wird und von staatlichen Stellen, ich sagte schon, noch weitaus weniger.“
Seit Jahren weist die Friedrich-Ebert-Stiftung anhand empirischer Befunde darauf hin, dassrechtsextremes Denken in Deutschland kein „Randproblem“, sondern eines der Mitte der Gesellschaft ist. Die seit 2006 im Zweijahresrhythmus in Auftrag gegebenen „Mitte-Studien“ belegen, dass rechtsextreme Haltungen in allen Teilen der Gesellschaft in erheblichem Maße anzutreffen sind. Auch 2012 wurde wieder eine bundesweite repräsentative Befragung durchgeführt: „Die Mitte im Umbruch“ ist ein Barometer aktueller antidemokratischer Einstellungen in Deutschland.
Die aktuellen Ereignisse – Attentat von Köln, „Merkel-Galgen“ in Dresden, „TTIP-Guillotine“ für Sigmar Gabriel zeigen, wohin die ungestörte Stimmungsmache einiger Agitatoren von Pegida und AfD schon geführt hat.
Die besondere, neue Qualität der rechten Umtriebe hat der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, zum Ausdruck gebracht. Er sagte:
„Sorgen bereitet Münch auch die hohe Zahl an Übergriffen auf Flüchtlingseinrichtungen. Dabei würden auch immer wieder Täter auffällig, die bislang nicht mit politisch motivierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden konnten. Das Radikalisierungspotenzial steige, die rechte Szene provoziere außerdem Gegenreaktionen von links.“
Ein Szenario, dass vielen „68-ern“ noch deutlich in Erinnerung sein dürfte. Eine ähnliche Stimmung wie heute gab es in den späten 60-er Jahren, als Adolf von Thadden die NPD wieder ins politische Geschäft bringen wollte. Ein Bericht aus dem November 1968:
„Anlässlich des NPD-Parteitages fand am 16.11.1968 gegen 11:00 Uhr auf dem Bismarckplatz in Siegen eine vom Deutschen Gewerkschaftsbund als politische Gegendemonstration gedachte Protestkundgebung statt. IG-Metaller, alte und junge Kommunisten und Vertreter von christlichen Gruppen führen gegen die Nationalen das Wort. Die Taktik der Demonstranten: Sie sperren jeden Zuweg zur Siegerlandhalle ab, die Plätze in der Halle sollen leer bleiben.
Der NPD-Bundesvorsitzende Adolf von Thadden muss über eine Mauer klettern und wird unter Polizeischutz zur Halle geleitet. Sollte die Polizei nicht helfen, droht er, habe man selber viele ausreichend starke Männer zum Eingreifen zur Hand.“
Das Beruhigende an diesem Bericht ist der Hinweis darauf, dass es seit der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 immer kräftigen Widerstand gegen Rechtspopulisten und Neonazis gab.
Was beunruhigt ist, ist die Tatsache, dass rechtes Gedankengut auch von Mitgliedern der Generation getragen wird, die in den 60-er Jahren gegen die Altnazis „auf der Straße“ war.
Bernd Wagner, Mitbegründer der Initiative „Exit Deutschland“ sagt dazu in einem Interview mit dem Deutschlandfunk auf die Frage für wie groß er die Gefahr hält, dass rechtsextremistische Ansichten große Teile der Bevölkerung anstecken:
„Die ist sehr groß, denke ich. Es tendiert auf eine Spaltung der deutschen Gesellschaft auch im Identitätsbewusstsein hin. Ein Teil will eine multikulturelle Gesellschaft leben, und ein anderer Teil möchte sich völkisch verriegeln. Das haben wir allerdings nicht nur in Deutschland, das haben wir auch in anderen europäischen Staaten. Und auch international, allgemein, ist das ein Trend. Also ich denke, hier werden uns noch größere Auseinandersetzungen ins Haus stehen, im nationalen und im internationalen Rahmen. Die Ereignisse in Ungarn und in anderen Staaten sollten uns Alarmzeichen sein.“
Dabei geht es nach Wagners Einschätzung nicht um eine Spaltung in Ost und West – vielmehr gibt es auch
„…regionale Spaltungen. Es gibt anhand von Wertsystemen, die in den Territorien, also in den Regionen herrschen, also dort, wo starke andere Bindungskräfte wie christliches Bewusstsein deutlich ausgeprägt sind, eine geringere Anfälligkeit für Rechtsradikalität. Da, wo es nicht ist, ist es etwas stärker ausgeprägt. Also man sollte nicht nur in Ost-West-Schemen denken, sondern in Nord-Süd-Schemen, wenn man jetzt nationalstaatlich denkt. Man sollte vor allen Dingen die Analyse verstärken, wo besondere Schwerpunkte bestehen, und da sehe ich also große Lücken. Die Albernheiten von Ministerpräsidenten, sich gegenseitig die Rechtsradikalität in Teilen der Bevölkerung um die Ohren zu schlagen, wo es mehr oder minder ist, das ist eine rein verwaltungstechnische Sortierung. Ich halte davon überhaupt nichts, sondern die regionale Betrachtung und die regionale Analytik, wenn man denn schon so was machen muss, sollte da in den Mittelpunkt geraten.“
Wenn wir nicht wollen, dass Reisewarnungen und Schlagzeilen wie die folgenden alltäglich werden, dann müssen wir aufstehen und klar und deutlich zeigen, dass in Deutschland kein Platz für Nazis ist.
Safety and Security USA
„In addition, hooligans, most often drunken “skinheads,” have been known to harass or even attack people whom they believe to be foreigners or members of rival groups. On occasion, German police reported assaults which appeared to have been motivated by racial reasons, and U.S. citizens have reported that they were assaulted for racial reasons or because they appeared “foreign.”
Safety and Security Kanada
„Extremist youth gangs are a threat, particularly in some smaller urban areas and in parts of former East Germany. Gang members have been known to harass or attack individuals because of their race or for looking “foreign”.
Schlagzeile Le Figaro 10.03.2015
„L’influence néo-nazie inquiète en Allemagne“
Schlagzeile Neue Züricher Zeitung 25.08.2015
„Ausländerfeindlichkeit in Deutschland – Der Hass auf das Fremde“
Und ganz zum Schluss noch einmal Simone Rafael Netz-gegen-Nazis
„Grundsätzlich finde ich bürgerliches Engagement gegen rechts total wichtig und zwar in allen verschiedenen Formen. Wichtig ist natürlich darüber dann hinaus zu gehen und tatsächlich auch zu überlegen: wie kann ich die Situation vor Ort aber ändern. Wenn ich jetzt feststelle es gibt dort Probleme, es gibt dort ne rechtsextreme Gruppe von Menschen die bisher aber akzeptiert wurde, wo man vielleicht aber selber auch zugestimmt hat oder ähnliches dann muss man sicher andere Formen überlegen. Wie man zum Beispiel die Menschen stark machen kann, die halt dann nicht rechts denken, die sich aber vielleicht vor Ort nicht trauen, die eingeschüchtert sind, wie man denen helfen kann dann ihre Stimme besser hörbar zu machen also tatsächlich so nachhaltige Arbeit vor Ort ist da natürlich extrem wichtig.“
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