0 Die Partei-Verdrossenheit der Deutschen
Eine Kurzanalyse von Albrecht von Lucke

Auch wenn Maybrit Illner und ihre Redaktion für die Sendung vom 21. Mai 2015 mit den Generalsekretären von SPD und CDU Yasmin Fahimi und Peter Tauber, dem um seine Führungsrolle in der AfD kämpfenden Bernd Lucke und der ehemaligen Pegida-Pamphletistin Katrin Oertel eine mächtig dubiose Runde zur Diskussion des Themas „Wutbürger, Parteien, Populisten – wer spricht für das Volk?“ zusammengestellt hatte, wurde die Sendung durch einen Beitrag aus dem ansonsten üblichen Talkshow-blabla herausgehoben. Und das war die Antwort von Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler, Jurist, Journalist und Sachbuchautor auf Illners Frage:

„Was treibt Menschen auf die Straße und läßt sie zu Pegida-Demonstranten werden? Was treibt Menschen in Deutschland in die AfD und läßt sie zu munteren – oder nicht mehr so richtig munteren – Wählern der Afd werden?“„Na wir haben’s ja heute Abend gehört. Ich finde das ist bemerkenswert. Ich glaube Frau Oertel ist ein Symptom. Ein Symptom in einer Zeit, da offensichtlich eine ungeheuere Unzufriedenheit ist mit Parteien, die auf eine Komplexität der Gegenwart keine Antworten einfacher Couleur geben.

Die auch nicht zu geben sind!

Und das glaube ich müssen wir ungemein ernst nehmen. Frau Oertel hat das hier wunderbar beschrieben. Sie hat sich gewissermaßen für die erste einfache Antwort entschieden „Der Muslim ist schuld“, für die nächste einfache Antwort entschieden „Die Nato und die Amerikaner sind schuld“.

Und es gibt ein Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion in dieser Gesellschaft, das erschreckend ist. Und da steckt tatsächlich eine Anfrage an diese Gesellschaft, an diese Demokratie als solche, die Fragen ausgesetzt ist, die so groß sind – und wir haben es ja erlebt, beginnend mit der Eurokrise bis zur Fluchtfrage, wo wir am Anfang stehen – wo offensichtlich Parteien in einem Maße vor Problemen stehen, auf die sie oftmals gar keine Antworten mehr geben können. Und das ist natürlich ein Problem was ungemein zurückspielt an die Parteien.

Das ist die eine Sache. Die zweite Sache ist natürlich schon die – und das find ich bemerkenswert – der Begriff der Alternativlosigkeit.

Es ist ja fast paradox, und das muss ich auch meinem Kollegen Jakob Augstein sagen (Anmerkung der Redaktion: Achja, der war auch noch da – aber bräsig), und vielen anderen Publizisten: Der Kanzlerin den Vorwurf zu machen.
Eine Kanzlerin, die seit 10 Jahren erfolgreich regiert. Hat damit gewissermaßen die Bestätigung gebracht, dass sie von der Bevölkerung gewählt wird.
Für die Alternative ist normalerweise die Opposition zuständig. Und das große Problem in einer großen Koalition besteht darin, dass wir eine viel zu schwache Opposition haben und dass wir noch nicht mal die Chance haben gegenwärtig, weil die SPD so schwach ist und zwei andere Parteien nicht koalitionsfähig oder -willig sind, nämlich Grüne oder Linkspartei, noch nicht mal eine Koalitionsoption für die Zukunft haben. Und dadurch ist natürlich der Ausfall der, dass die Linke keine Alternative darstellt. Und insofern sind wir gewissermaßen ein Land ohne eine klare Alternative.
Wir diskutieren ja auch schon mit Blick auf die nächsten zwei Jahre, wer da gewissermaßen die Alternative darstellen soll. Und es spielt sich alles ab vor dem Hintergrund, dass wir wirklich Problemen ausgesetzt sind, die so gewaltig sind, dass die Parteien noch viel mehr gefragt sind Antworten zu geben.

Und da versagen beide. Die Union wie die SPD.“

Illner zählt nun auf: Es ist ja wirklich viel, es ist momentan der Terror der bekämpft werden muss, es ist Ukraine/Russland-Konflikt, es ist Euro und die Euro-Rettung und Griechenland, unser Verhältnis zu den USA, die NSA, es ist eine Menge was da nicht mehr national zu lösen und löten ist sondern eben wirklich vor einem internationalen Problem steht.

„Ja und es ist – früher, wenn man sich überlegt, die alte Union beispielsweise, das ist durchaus eine Frage wie weit sie damals eine Sammlungsbewegung gewesen ist, die sie heute nicht mehr ist. Und ich muss sogar sagen, es ist schon bemerkenswert, es ist ja ein Repräsentationsproblem auch, was die AfD zum Ausdruck gebracht hat. Die AfD ist ja nicht ohne Grund entstanden. Die AfD war Ausdruck der Tatsache, dass eine völlig legitime Position, nämlich die Grundfrage, ob die Rettung/Lösung der Eurokrise über das permanente bail-out ist, was grundsätzlich erst mal rechtlich gar nicht vorgesehen war, durch andere Antworten beantwortet werden muss. Das ist eine völlig legitime Antwort gewesen. Die ist, und wir erleben heute Herrn Lucke quasi in Auflösung seiner Partei, ihm völlig aus dem Ruder gelaufen. Aber natürlich war es zunächst mal eine Repräsentanz einer legitimen Antwort. Das ist erstmal, man muss es mal ganz deutlich sagen, grundsätzlich eine Vitalisierung und Revitalisierung des demokrtatischen Systems.

Einwurf Illner: weil die eigenen Opponenten in der CDU...

„…sie nicht zur Sprache brachten. Weil sie einfach frei gelassen haben. Weil sie Felder frei gelassen haben und keine Antworten mehr darauf gegeben haben. Und der Schwund natürlich bei Frau Fahimi und der SPD auf 23 Prozent – was natürlich die Grundfrage aufwirft inwieweit die SPD überhaupt noch eine Volkspartei ist, die man mit Fug und Recht stellen kann – weil die momentan gar nicht in der Lage ist aus der Regierung heraus eine Regierung wieder als eigene Regierung zu stellen, ist natürlich auch dem Umstand geschuldet, dass die eigentliche Alternativlosigkeit mit Gerhard Schröder natürlich eingesetzt hat.
Gerhard Schröder hat eine Politik gemacht, die als linke kaum erkenntlich war. Ich erinnere nur an seinen stehenden Satz „es gibt keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, es gibt nur gute oder schlechte“.
Damit war gewissermaßen die Unterscheidbarkeit zwischen links und rechts dezidiert auch von Gerhard Schröder aufgelöst. Und er hat gewissermaßen mit den Hartz4 Reformen das gemacht, was in einem hohen Maße zur Verunsicherung dieser Gesellschaft beigetragen hat. Er hat Ressentiments durchaus geweckt, auch deshalb weil viele Menschen nicht mehr das Gefühl haben sie stehen noch auf sicherem Boden.

Das ist natürlich auch ein Phänomen was wir bei Pegida erlebt haben, es sind nicht die Abgehängten, es sind zum Teil die, die durchaus noch etwas haben, aber die die Sorge haben, dass sie auch durchrauschen. Es gibt ein großes Moment der Verunsicherung und das artikuliert sich in einem ungeheuren Phänomen des Ressentiments der Wut, das die einfache Lösung sucht und Frau Oertel hat das ja beispielhaft beschrieben.

Einwurf Illner: So und wenn wir uns jetzt noch mal versuchen genau den Nährboden für diese Bewegungen zu erklären, dann ist das in Ihrer Beschreibung eine Unsicherheit in der Welt, die die Menschen auch als eigene Unsicherheit empfinden. Und es ist ein Protest und es sind Ängste, oder wie..

„…natürlich. Es ist ja so, man sich doch bewußt machen, was auch in den letzten Jahren passiert ist. Und deshalb glaube ich, taugt es gar nichts, wenn Herr Tauber und auch Frau Yahimi den Eindruck erwecken, wir kriegen das in den Griff. Wenn ich nur erinner, die Kanzlerin damals – und Herr Steinbück – wir erinnern uns alle an das große Wort „Ihre Sparguthaben sind sicher“ – das war ein Akt der Verzweiflung, weil es eine Situation der Krise war, und kein Mench wußte, ob am nächsten Tag die Banken gefloatet werden. Und dieses Phänomen der Nichtbeantwortbarkeit von großen Fragen, wenn ich nur an die Flüchtlichngsfrage denke beispielsweise. Wir wissen doch alle ganz genau, dass weder die Abschottung die Lösung ist, weil wir der Probleme gar nicht militärisch Herr werden können, aber auch die grenzenlose Aufnahme keine Lösung ist.

Und das sind natürlich alles Einflugschneisen, wo Parteien eine klare Ansage machen, beispielsweise jetzt die AfD. Nicht Herr Lucke primär, aber Leute im Osten, die ganz klar sagen „mit uns nicht, Schluss“.

Und da ist natürlich ein unwahrscheinlich schwieriges Problem, und das ist die Frage an die Volksparteien, die ich übrigens absolut verteidigen will, das ist die große Errungenschaft der alten Bunderepublik gewesen, dass sie die Demokratie in Volksparteien kanalisieren konnte. Sie müssen die Antwort darauf geben, wie wir human bleiben wollen aber dieser riesigen Probleme Herr werden.

Und ich glaube, die Leute, die Bevölkerung sieht in erheblichem Maße diese Möglichkeiten nicht mehr bei den Parteien.

Illner: Wir haben uns mal angeschaut wer die AfD eigentlich gewählt hat und ich frage Sie dann gleich noch mal, wie Sie das eigentlich analysieren… Das ist erstaunlich, wohl situierte, gebildete, in erster Linie Männer, wählen die AfD. Wie erklären Sie das?

…“Das ist ziemlich einfach in einer Hinsicht.
Wer alles verloren hat, der muss nicht mehr Angst haben etwas zu verlieren. Es sind gerade die, die in erstaunlicher Weise noch etwas haben, die den Eindruck haben und sich auch natürlich auf der Suche nach einfachen Feindbildern befinden, die den Eindruck haben, da kommt eine Masse von Flüchtlingen ins Land. Oftmals eben auch dieses Bild des Islam, natürlich war es kein Zufall, dass die Islamisierung der Begriff war. Ich meine die Angst ‚das ist eine uns überlaufende Masse und die nehmen uns was weg‘. Wir werden gewissermaßen zum Opfer einer Gruppe die natürlich noch viel schwächer war.
Und dann war natürlich der fatale Effekt, was ich sehr fatal finde, da schlägt gewissermaßen ein autoritäres Syndrom zu – man wehrt sich dann gegen den Schwächeren, gegen den noch schwächeren. Das ist eine ganz ganz, eine hochgradig autoritäre Struktur und das konnte man ganz beispielhaft in Leipzig und andernorts studieren. die alte autoritäre Prägung, die zum Teil eine DDR-Tradition mit sich schleppt natürlich zum Ausdruck kam. Aber es war natürlich das Gefühl ‚hier wird uns etwas weggenommen‘. Und dieses Gefühl, dass sich dann gegen die Schwächsten artikuliert und nicht beispielsweise die berechtigte Frage – Frau Fahimi sagt zu recht auch – die berechtigte Frage aufwirft ‚ist dieses Land zunehmend ungerecht geworden? Ist es ungerecht verteilt? Wen müssen wir vielleicht wirklich anfragen, wer waren die Gewinner der Krise?‘ Diese Frage wird nicht gestellt. Sie richtet sich gegen die Schwächsten und gerade von denen die noch was zu verlieren haben.

Illner: Wenn wir unterstellen, dass es diese Auffassung in Deutschland immer schon gab und dass es auch immer schon einen Prozentsatz von, ich weiß nicht, 10 Prozent bis 15 Prozent der Deutschen gab, die deutsch-national gedacht haben, oder eben in diesem Sinne gedacht haben, Pegida es wahrscheinlich nicht mehr geben wird, die AfD in einem wie auch immer gearteten Selbstfindungs- oder gar Spaltungsprozess ist, wo werden diese Wähler dann hingehen?

…“Das ist die große Frage. Und es ist die Aufgabe natürlich der Volksparteien in gewisser Weise. Sie müssen, und das war die Leistung über, ja mittlerweile fast 70 Jahre Bundesrepublik, sie müssen sie wieder versuchen zu erreichen. Sie müssen auch gewissermaßen, das ist ja die Kunst, sie müssen versuchen Ressentiments wieder zu versachlichen, den Leuten eine Antwort zu geben auf diese völlig vereinfachten Antworten die Frau Oertel hier zum Besten gegeben hat. Sie müssen den Leuten klarmachen ‚die Welt ist komplex, aber es ist eben nicht so einfach einen Feind ausfindig zu machen‘. Und ich glaube schon, eine entscheidende Frage wird sein – und das ist wirklich das wo ich meine – und da meine ich keineswegs nur die SPD – es ist die Linke natürlich auch in die Pflicht genommen eine Alternative zu einer ewigen Kanzlerschaft Merkel zu formulieren. Das ist keine Aufgabe der Kanzlerin Merkel. Das ist eine regelrecht groteske Vorstellung, dass eine hocherfolgreiche Kanzlerin sich ständig anfragen muss warum sie weiter regiert und warum sie nicht das Land in Aufruhr bringt. Das ist grotesk. So. Und ich erinnere nur an eine Sache:

Wenn wir den großen Vergleich machen zur großen Koalition vor 30, 40, 50 Jahren, große Koalition unter Kiesinger und Willy Brandt, da war das Erfolgsrezept der SPD, dass sie mit Willy Brandt eine Alternative verkörpern konnte. Die hatten genau das gleiche System, das Land stand das erste Mal an einer Scheidemarke, es fand sich eine neue rechte Bewegung, die NPD war so stark, dass sie drauf und dran war in den Bundestag einzuziehen. Aber der Protest, der übrigens interessanterweise auch von links ziemlich fundamental und sicher nicht nur immer angenehm im Zuge der 68-er und der Radikalisierung, kanalisierte sich nach links, weil Willy Brandt eine klare Alternative angeboten hat.

Und diese Anfrage muss die Linke sich stellen damit meine ich – nochmal ausdrücklich gesagt – keineswegs nur die SPD sondern mindestens so sehr die Linkspartei, die Grünen machen es, die Grünen sind koalitionsfähig, aber die Linkspartei, die natürlich auch an der ganz entscheidenen Frage steht und da ist sie gar nicht so weit weg, das müssen wir uns auch bewußt machen, gar nicht so weit weg von der AfD. Ob sie billig den Protest einsammelt denn die antiamerikanischen Stereotypen hat die Linkspartei natürlich in ähnlicher Weise zum Teil. Und damit ist die Frage gestellt: Ist sie willens zukünftig eine neue linke Alternative zu machen, die auch dann endlich die SPD zu klarerer linker Position nötigen würde oder bleibt sie genauso in gewisser Weise Protestpartei die es sich damit recht einfach macht.

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