… ist das wirklich so neu und einzigartig, was Sie uns auf Ihren 30 Seiten [1] „Vertrauen zurückgewinnen: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ offenbaren? Können Sie das wirklich durchsetzen? Oder gilt es doch, europäische Bündnisse zu schmieden? Wo bleibt in Ihren Überlegungen der englische Finanz- und Bankenmarkt? Sie waren von 2005 bis 2009 Bundesfinanzminister und datieren den Beginn der „Renditejagd mit unvorstellbaren Summen“ auf „Mitte 2007“. Wo waren da Ihre konkreten Maßnahmen für ein „neues Gleichgewicht“ ?
Wird die „politische Bändigung eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ allein mit der Aussendung der „Kavallerie“ gelingen?
Sie sind jetzt Kanzlerkandidat der SPD. Ihre Aufgabe ist es, eine politische Vision zu entwickeln (auch wenn Ihr großer Mentor sagt: „Wer Visionen hat gehört zum Arzt“).
Jetzt gilt es, mehr als starke Worte zu liefern.
Starke Worte mögen bisher ausgereicht haben, um Ihren „Vortragstourismus“ ertragreich zu gestalten. Ab jetzt gilt es jedoch, mehr Präsenz im Parlament zu zeigen. Dafür sind Sie gewählt worden – als Abgeordneter die Interessen Ihrer Wähler im Parlament zu vertreten. Vielleicht müssen Sie jetzt auch Ihre Ansichten [2] über außerparlamentarische Bürgerinitiativen wie abgeordnetenwatch.de [3] überdenken?
Schauen wir zunächst einmal auf Ihre 30 Seiten zum Thema „Vertrauen“.
Gleich zu Beginn schreiben Sie:
„Seit Ausbruch der internationalen Finanzkrise Mitte 2007 steht eine Frage unbeantwortet im Raum: Wer bestimmt den Lauf von Wirtschaft und Gesellschaft – entgrenzte Finanzmärkte getrieben von anonymen Managern, die unter weitgehender Haftungsfreistellung mit unvorstellbaren Summen auf Renditejagd gehen, oder demokratisch legitimierte Institutionen? Die Antwort auf diese Frage und damit die politische Bändigung eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus ist eine entscheidende politische Herausforderung unserer Zeit.“
Dazu fällt uns ein, dass Sie, Herr Peer Steinbrück von 1998 bis in die frühen 2000-er Jahre die Aufsicht über die rheinische Landesbank (WestLB) hatten. Mit welchem Erfolg? Die WestLB möchte im großen Zockerspiel mitmachen und verzockt innerhalb von 4 Jahren 1o0 Milliarden Euro – die Gesamtsumme zum Schluss betrug 500 Milliarden Euro.
Wie sagen Sie so schön: „Es ist was aus dem Lot geraten.“
Das scheint schon damals der Fall gewesen zu sein. Und vielleicht hat es damit zu tun, dass die Reaktion der Bank-Bosse auf Ihre „Banken-Beschimpfung“ bisher so matt ausgefallen ist. Man weiß in den Vorstandsetagen der großen Geldhäuser, dass man Sie nicht wirklich fürchten muss.
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung fragt denn auch im Zusammenhang mit Ihrem Plädoyer zur Bändigung der Banken, ob Sie wirklich der große „Bankenschreck [4]?“ sind und zitiert aus Ihrem Buch „Unterm Strich“ aus dem Kapitel „Zehn Tage, die mich bewegten“. In diese Zeit fällt – danke Ihrer Begabung für starke Sprüche – auch die Wandlung des „to big to fail“ von der „ökonomischen Spekulation“ zur „historischen Gewissheit“ – wie die FAS erinnert.
Gut. Sie sagen, Sie haben gelernt und sehen die Dinge heute anders. Das wird allenthalben zur Kenntnis genommen, immer aber mit gewissen Zweifeln verbunden. Und mit der Feststellung, dass Ihre von Ihnen als Neuigkeit gepriesenen Maßnahmen zur Regulierung weder neu noch einzigartig sind.
Einführung einer Finanztransaktionssteuer:
Der Gedanke daran ist Jahre alt. Neun Staaten der EU haben bereits die Einführung beschlossen, Frankreich [5] hat sie seit dem 1. August – zumindest teilweise – eingeführt. Sie rennen sozusagen offene Türen ein. Was aber ist mit Großbritannien und den USA? Ein Job für die Kavallerie?
Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken:
Den Investmentbanken wird die Schuld an der Schieflage des Systems gegeben. Da sie bisher mit den übrigen Geschäftsbereichen verbunden sind, durfte man sie nicht pleitegehen lassen. Die Wiedereinführung einer Aufspaltung in Geschäfts- und Investmentbank wird gerne diskutiert, ihre Chance auf internationale Durchsetzung aber als äußerst gering angesehen. Trauen Sie sich dann, Herr Steinbrück, tatsächlich die Deutsche Bank zu zerschlagen?
Einführung einer europäischen Bankenaufsicht:
Dieses Thema wird bereits seit Monaten europaweit diskutiert. Der Weg scheint allerdings weit, hat er doch damit zu tun, dass die Einzelstaaten Kontrolle über ihr Finanzsystem abgeben müssten. Eine Lösung kann nur europäisch formuliert werden und dafür hat Barroso vor 14 Tagen bereits einen Plan vorgelegt.
Nach dieser kurzen Exkursion zu „Steinbrücks Bankenpapier [1]“ nun zu einem anderen Thema, dass in Verbindung mit Peer Steinbrück bedeutsam erscheint.
Transparenz der Einkünfte.
Vorausgeschickt sei, dass auch andere führende Politiker sich weigern, hier das Prinzip der „gläsernen Taschen“ einzuführen. Gleichwohl gibt es bei Ihnen, Herr Steinbrück, einen besonderen Aspekt zu bedenken:
Seit dem 27. Oktober 2009 sind Sie „einfacher“ Bundestagsabgeordneter. Als solcher besteht für Sie wie für die übrigen Mitglieder des Deutschen Bundestages an den Sitzungstagen Präsenzpflicht [6]. Im Oktober 2010 wurde durch die Recherchen von abgeordnetenwatch öffentlich bekannt, dass Sie zu den Abgeordneten mit der geringsten Anwesenheit im Bundestag gehörten. Ob gewollt oder ungewollt bestätigten Sie die Richtigkeit dieser Feststellung in einem Interview mit dem ARD Magazin FAKT [7] im Dezember 2011 mit den Worten “Ich habe bei keiner wichtigen Abstimmung, zumindest in der Rückbetrachtung der letzten 15 Monate, gefehlt.”
Über den möglichen Umfang der Vortragstätigkeit des Abgeordneten Steinbrück können die geschätzten Einnahmen von mehr als 600.000 Euro vielleicht einen Eindruck vermitteln. Aber Sie sind nicht allein [8] und inzwischen soll es ja mit Ihrer Bundestagspräsenz besser geworden sein. Dafür laufen ja jetzt die 3 (in Worten drei !) Biografien sicher ganz gut!
Mal ehrlich, Herr Steinbrück, wie man lesen kann, charakterisiert einer Ihrer Biografen, Daniel Friedrich Sturm, Sie als „arrogant und selbstherrlich“ (aber auch als offen und neugierig). Leider ist das ein Eindruck, den auch wir in Fernsehgesprächen und -diskussionen mit Ihnen immer wieder gewinnen mussten.
Gilt es da nicht, wenn Sie ein für Deutschland guter und erfolgreicher Kanzler werden wollen, dass Sie sich in den nächsten Monaten einer Herausforderung der besonderen Art stellen? Der Herausforderung nämlich, den Eindruck von Arroganz und Selbstherrlichkeit zu Gunsten eines gewissen Mindestmaßes an Bescheidenheit, Respekt und/oder Zurückhaltung zu verändern?
Helmut Schmidt hat gesagt: „Der kann’s“. Ob er wohl gemeint hat: „Der kann’s ganz allein“? Wir glauben das nicht!