Wer auf der Internetseite „Wortschatz“ der Universität Leipzig das Wort Menetekel eingibt, der findet bei den signifikanten Kookkurrenzen für Menetekel auch Schirrmachers und Frank Schirrmachers. Das kommt nicht von ungefähr, denn nachdem Schirrmacher mit seinem Buch Payback sich selbst und uns alle durch die Informationsfülle des Internets aufgefressen sah und sich in seinem Methusalemkomplott über die drohenden Aufstände von Alt gegen Jung ausließ, hat er seine Kompetenz zum Thema Menetekel doch schon mehrfach nachgewiesen.
Nun macht er dies ein weiteres Mal und sein Beitrag „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 14. August 2011 könnte, ganz nebenbei, auch der Vorlauf zu einem neuen Schirrmacher Buch sein. Das ist eben der Vorteil, wenn man Herausgeber ist.
„Es gibt Sätze, die sind falsch. Und es gibt Sätze, die sind richtig. Schlimm ist, wenn Sätze, die falsch waren, plötzlich richtig werden. Dann beginnt der Zweifel an der Rationalität des Ganzen. Dann beginnen die Zweifel, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang.
Es ist historisch der Moment, wo alte Fahrensleute sich noch einmal zu Wort melden, um zu retten, was zu retten ist. Der liberale Katholik Erwin Teufel hat das mit einer hochdramatischen, aus zusammenbrechenden Glaubenssystemen überlieferten rhetorischen Figur getan: Er rede, weil er nicht mehr länger schweigen könne.“
Dieser Rückgriff auf den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, wie auch der wiederholte Bezug auf Charles Moore, machen eine wiederkehrende Besonderheit in Schirrmachers Deutungen deutlich: Er überzeichnet ein ernstes, real bestehendes Problem in einer alarmierenden Form, vergisst dabei aber, seine Argumente abzuwägen und die Oberfläche zu verlassen.
Und so wirft er die Krise des Bürgertums, die Finanzkrise, die Globalisierung, Bildungspolitik und den zur Euro(pa)-Krise schweigenden Bundespräsidenten in einen Topf und tut das, was er der CDU rät zu prüfen, ob sie es nämlich anstelle von kontinuierlicher Politik macht, er macht Agenda-Setting.
Das ist es auch, was seine Kritiker verbindet. Sei es Stefan Reinecke in der taz, wenn es um das Methusalem-Komplott geht, Andrian Kreye in der Süddeutschen Zeitung zu Schirrmachers Buch Payback, Julia Weiss auf den NachDenkSeiten zu Minimum und schließlich, aktuell zu den von Schirrmacher formulierten Zweifeln im bürgerlichen Lager, Paul Nolte beim Deutschlandfunk.
Am deftigsten dürfte Julia Weiss die Gedanken der Kritiker zu Schirrmachers Texten formuliert haben:
“Agenda Setting” nennt man diese fortschrittliche Werbe- und PR-Technik, in der der FAZ-Mitherausgeber als großer Meister gilt. Agenda Setting ist die Methode erster Wahl, wenn eine interessierte Partei gezielt Einfluss auf Themenprioritäten und Meinungsbildung in der Öffentlichkeit nehmen will. Das Partialinteresse (hier: “Wir Gutsituierten brauchen keinen Sozialstaat und die anderen können gefälligst ihre Frauen dafür nehmen”) muss dabei natürlich als allgemeines verpackt werden (hier: Untergangsgeschwafel).
An Tempo und Kosteneffizienz beim Agenda Setting steckt Frank Schirrmacher sogar die millionenschwere Arbeitgeber-”Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” locker in die Tasche, aber das Ankochrezept bleibt stets dasselbe: Man produziert eigenhändig berichtenswerte “Ereignisse” (hier: einen unschuldig-weißen Sachbuch-Umschlag mit einer gesalzenen Propagandabroschüre drin) und lanciert dann die entsprechenden “In-Sorge-um-unser-Land”-Berichte darüber in den Medien. Tut man das nur ausdauernd genug, hat man die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politik auf ein Problem gelenkt, das womöglich gar nicht existiert, uns aber erfolgreich von den wirklichen ablenkt.“
Auch wenn wir Schirrmachers Gedanken nicht widerspruchslos hinnehmen konnten, sind wir doch einer Meinung mit ihm, wenn es darum geht, die Gesellschaft – uns alle also – sensibler für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen zu machen und die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden, zu verstärken.
Dazu sollte er allerdings weniger auf den spektakulären aber oberflächlichen Boulevard-Stil setzen, als vielmehr auf die von ihm ebenfalls ausgezeichnet beherrschte journalistische Qualitätsanalyse.
Das Buch zum Thema:
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Hier kann man den öfters erwähnten Artikel von Charles Moore im Original lesen. Ebenfalls sehr interessant ist dieser Artikel von Peter Oborne.
Zu dem Thema hat sich heute nun auch Spiegel Kolumnist Fleischhauer ausgelassen.