Eine Ampel für Zucker, Salz und Fett
30. August 2009 | von admin | Kategorie: Fremdtexte
Das erste Tütengericht trägt bald die Lebensmittel-Ampel. Noch sperren sich die Hersteller. Dabei ist sie sinnvoll.
VON NADINE OBERHUBER
Wenn es so etwas wie den Parade-Kunden der Lebensmittelindustrie gibt, komme ich ihm ziemlich nahe: Ich bin eine Frau, mittelalt und habe einen mittleren Verbrauch von 2000 Kalorien am Tag. Letzteres sagt jedenfalls die Industrie. Auf diese Werte sind die Tabellen bezogen, die Hersteller auf ihre Verpackungen drucken – auf den weiblichen Durchschnittskunden. In einer anderen Hinsicht bin ich auch Durchschnitt: Anhand der Zahlen habe ich gedacht, Joghurt sei irgendwie gesund. Bis jetzt. Dann kam die Ampel.
Als erster Lebensmittelhersteller preschte Frosta vergangene Woche vor: Von August an will der Produzent von Tiefkühl- und Fertiggerichten die Lebensmittel-Ampel auf einen Teil seiner Verpackungen drucken. Die Ampel kennzeichnet mit drei klaren Farben, ob die Menge an Zucker, Fett und Salz in der Verpackung im gesundheitlich grünen, gelben oder eher im bedenklichen roten Bereich liegt (siehe Grafik). Verbraucherverbände feierten das. Es ist der erste Vorstoß, den die Lebensmittelampel hierzulande gefeiert hat. Es könnte auch der einzige bleiben.
Obwohl Politiker, Industrie und Verbraucher schon seit Jahren um die verpflichtende Einführung eines Lebensmittel-Kennzeichnungssystems ringen, sich 70 Prozent der Bevölkerung in Umfragen immer wieder für die Ampel aussprechen und es zuletzt unter Verbraucherminister Seehofer schien, als werde sie sich auch durchsetzen, gibt es immer noch keine Einigung. Und erst recht keine gesetzliche Pflicht zum Ampelaufdruck.
Denn die Industrie wettert erbittert gegen das Drei-Farben-System. Sie findet, dass “eine Ampel, die Lebensmittel in gute und schlechte unterteilt, schlecht ist”, so heißt es bei Unilever, dem Hersteller der Marken Mazola, Rama, Magnum und Pfanni. Hört man sich bei den Herstellern Nestlé, Kraft, Maggi, Dr. Oetker, Danone, Kellogg’s, Mars und Campina um, stellen alle sofort klar, sie würden die Ampel garantiert nicht einführen. Die meisten haben “ein grundsätzliches Problem mit der Ampel, weil sie ein bewertendes System ist”, weil sie “die Verbraucher bevormundet” und weil sie “mit einer Vielzahl unterschiedlicher Ampelfarben die Verbraucher eher verwirrt als informiert”.
Ihre Zahlen finden sie viel klarer. Deshalb wollen sie alle an ihrem bisherigen System festhalten: An den Balken, die in Gramm und Prozent die Inhaltsstoffe auflisten, bezogen auf den durchschnittlichen Tagesbedarf einer Esserin, gelegentlich auch auf eine spezielle Portionsgröße heruntergerechnet. An den Zahlen, die mir bisher sagten, dass mein Joghurt 25 Prozent meines täglichen Zuckerbedarfs decke. “Mit diesen täglichen Höchstdosiermengen erfährt der Kunde mehr als mit den Farben”, findet der Backwaren- und Fertiggerichthersteller Dr. Oetker. “Der Kunde kann sich anhand der Zahlen selbst einen Überblick verschaffen”, beharrt auch der Branchenverband BLL, der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Zahlen lügen nicht.
Es kann höchstens sein, dass man sie nicht richtig versteht. Ehrlich gesagt wusste ich bisher nicht, dass die Dosiermenge genau auf mich zugeschnitten war – selbst wenn sie auf Kindermilchpackungen abgedruckt ist. Und bei Kindern ganz schnell zur Überdosierung führt. Oder dass sie sich mal auf 30 Gramm, mal auf 50 und mal auf 100 Milliliter bezieht, weil jeder Hersteller die Portionsgröße selbst wählt. Wobei Frühstücksflockenhersteller davon ausgehen, dass ein Durchschnittserwachsener von 30 Gramm Cornflakes satt wird. Was noch spartanischer ist als die Durchschnitts-Brigitte-Diät.
Im Gegenzug halten sie aber 90 Gramm Zucker pro Tag für unbedenklich, während die Weltgesundheitsorganisation sagt, dass schon ab 60 Gramm die Grenze zur allmählichen Verfettung erreicht ist. All das weiß ich nicht durch die Zahlen auf den Packungen. Auch nicht durch die Ampel. Aber die hätte mir zumindest in Rot signalisiert, dass der Zuckergehalt in meinem Joghurt ziemlich hoch ist. Und genau davor haben die Hersteller Angst.
Sie fürchten, dass “Frühstückscerealien”, “Joghurtdrinks zur Stärkung der Abwehrkräfte” und “Joghurt-Salat-Creme”-Saucen bald wie Blei in den Regalen liegen, sobald sie rote Punkte tragen müssten. Dass die Kunden lieber zu grünen Lebensmitteln greifen – zu denen der Konkurrenz. Und dass sie fett- und zuckerreiche Produkte wie Käse oder Süßigkeiten kaum noch verkaufen könnten.
Ganz unberechtigt ist das nicht: In Großbritannien, wo Hersteller freiwillig die Ampel auf 10 000 Lebensmittel drucken, griff die Hälfte der Einkäufer tatsächlich häufiger zu grünen, als “gesünder” abgestempelten Produkten. Zumindest anfangs. Mancher Hersteller änderte daraufhin seine Rezeptur, reduzierte Zucker, Fett und Salz, um wenigstens in den gelben Bereich zu kommen. Andere warteten und sahen: Auf Dauer kaufen wir nicht, was gesund ist, sondern was uns schmeckt. Ist das nun schlecht?
Vielleicht trägt Folgendes zur Entspannung an der Herstellerfront bei: Es geht nicht darum, mit roten Punkten vom Kauf von Schokoriegeln und Olivenöl abzuraten. Beide müssen mal sein. Es geht um die Aufnahme von Informationen: Die bloßen Zahlen auf den Packungen verarbeiten Kunden beim Einkauf nicht. Wer zieht schon mit dem Taschenrechner los? Auch Frauen, die 2000 Kalorien am Tag verbrauchen, tun es nicht.
Quelle: Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 07.06.2009, Nr. 23, S. 41
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